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Müllkippe Meer
von Jasmin Jaerisch/Michael Krüger
Plastiktüten flattern in den entlegensten Landstrichen. Abfallinseln entstehen in den entferntesten Atollen: Kunststoffmüll ist ein Riesenproblem – weltweit. Mehr als 6,4 Millionen Tonnen Kunststoffe gelangen jedes Jahr in die Ozeane. Einmal benutzt – für immer da: Bis zu 450 Jahre kann es dauern, bis der künstliche Abfall durch Sonne, Reibung und Salzwasser zersetzt wird. Die Relikte unserer Wegwerfgesellschaft stellen für die Lebewesen an Küsten und in den Meeren eine massive Bedrohung dar.
Das Meer verkommt immer mehr zur Plastikmüllkippe: In einigen Meeresregionen gibt es sechs Mal mehr Plastik als Plankton im Wasser! Die kleinen Plastikkrümel ähneln Plankton und Fischeiern. Fische, Seevögel und Säugetiere verwechseln den Kunststoffmüll mit Nahrung und fressen ihn. Die Folge: Viele Meerestiere ersticken an den Partikeln. Die kleinen Bruchstücke verstopfen außerdem den Verdauungsapparat. Seevögel wie der Eissturmvogel verhungern mit vollen Mägen. „In mehr als 95 Prozent der untersuchten Vögel finde ich Plastik“, berichtet Dr. Jan Andries van Franeker vom niederländischen Forschungszentrum Imares (siehe Kasten auf Seite 66). Kunststoffe haben zudem die Eigenschaft, ölige Schadstoffe wie Pestizide und Herbizide aufzunehmen, die aus der Landwirtschaft ins Meer gelangen. Viele Meerestiere sterben einfach an dem Giftcocktail, den sie dadurch aufnehmen.
Rund eine Million Seevögel und 100 000 Meeressäugetiere sowie Schildkröten fallen jährlich den Überresten von Plastikmüll zum Opfer. Die Tiere verheddern sich in treibenden Netzresten und verhungern. Basstölpel und Möwen auf dem Helgoländer Vogelfelsen brüten längst nicht mehr auf Steinen, sondern bauen sich Nester aus Treibgut und Fischernetzen. Viele vergiften sich, denn die absorbierten Chemikalien sind gefährlicher als das Plastik an sich. Durch die Bioakkumulation (Anreicherung des Organismus mit Schadstoffen), die sich durch die gesamte Nahrungskette fortsetzt, landet der giftige Abfall schlussendlich beim fischverzehrenden Verursacher: dem Menschen selbst.
Strömungen und Meereswirbel sorgen für die weltweite Verbreitung des Mülls. Bizarres Beispiel: Hawaii – da denken die meisten eher an traumhafte Inseln und bunte Blumenketten als an schwimmende Müllkippen und Plastikfetzen. Dabei ist die Assoziation gar nicht so abwegig. Zwischen der Aloha-Inselkette und dem amerikanischen Festland schwimmt ein Plastikteppich aus Abfall mit unvorstellbaren Ausmaßen: Dieses von Menschenhand geschaffene Eiland namens „Great Pacific Garbage Patch“ ist so groß wie Mitteleuropa!
Die Frage ist: Wie kommt der Müll gerade dorthin? Besonders anschaulich wird die Meeresströmung anhand der Reise der „Friendly Floatees“. Die berühmte Frachterladung mit Badeenten treibt seit mittlerweile 18 Jahren mit der Strömung über die Weltmeere. Rückblick: 1992 verlor ein Containerschiff im Ostpazifik eine Ladung mit rund 30 000 Spielzeugenten. Zwei Drittel trieben nach Süden, einige wurden in Australien, Indonesien und Südamerika gefunden. Ein Drittel gelangte durch die Beringsee über Alaska, Nordamerika und den Golfstrom bis nach Europa. Einige der Enten sind seit mehr als 18 Jahren unterwegs und legten eine Strecke von fast 30 000 Kilometern im Meer zurück. Für Meeresforscher und Ozeanografen wurden die Quietscheentchen interessant, weil ihr Schwimmverhalten Aufschlüsse über das globale Förderband der Meere gibt.
Meereswirbel transportieren alles – auch den Abfall. Sie werden durch Winde und die Erdrotation in Bewegung gebracht. „Die enormen Wassermassen reißen alles mit“, so der Ozeanograf Curtis Ebbesmeyer aus Seattle. Das Gleiche passiert mit den schwimmfähigen Kunststoffpartikeln, die sich wie im Karussell drehen und immer mehr werden. Dieser schwimmende Abfall macht nur etwa 15 Prozent des Mülls aus. Mehr als 70 Prozent sinken auf den Meeresboden –, der Rest wird an den Küsten angespült – was wir sehen, ist also nur die Spitze des Eisbergs. Woher kommt der ganze Plastikschrott? Solche Abfälle gelangen selten durch Unfälle ins Meer. Meist „ganz natürlich“ und quasi als „routinemäßig ablaufende Prozesse“: Ein großer Teil des Plastikmülls stammt von Fischereiausrüstungen. Viele Schiffe entsorgen achtlos Abfälle, und auch die Offshore-Industrie (Öl- und Gasplattformen, Aquakulturen) sorgen für Nachschub. Und letztlich sind es unsere Wegwerf-Hinterlassenschaften, die über Abwässer, Deponien, illegale Entsorgung und die Tourimusbranche an die entlegensten Ecken der Welt gelangen.
Das Plastikmüllproblem ist längst bei uns angekommen: In Nord- und Ostsee sieht’s nicht viel besser aus: Nach Auskunft des Umweltbundesamts (UBA) haben sich die jährlich in die Nordsee gekippten 20 000 Tonnen Müll auf etwa 600 000 Kubikmeter auf und im Meeresboden angesammelt. Die Strände des Nordostatlantiks weisen im Durchschnitt 712 Müllteile pro 100 Meter Küstenlinie auf.
Die Gefahren der im Meer kreisenden Müllteppiche sind bekannt – die „Great Pacific Garbage Patch“ ein mahnendes Beispiel. Der Massentourismus bringt Millionen Tonnen Müll in die abgelegensten Ecken unseres Planeten und führt dort zu massiven Entsorgungsproblemen. Oftmals sind arme Länder plötzlich mit einem riesigen Müllproblem konfrontiert. Natürlich ist es einfach, die extremen Auswüchse des Massentourismus zu diskreditieren und den mahnenden Zeigefinger zu erheben. Aber Taucher sind Teil dieser Entwicklung, und das Plastikproblem hat jeder von uns zu verschulden. Wir kennen es alle: die Plastiktüte im Supermarkt, die unnötigen Einweg-Plastikflaschen, die im Korb landen und als schwer abbaubarer Müll im Meer für jahrhundertelangen Schaden sorgen. Konsequenz ist schwer und kostet Zeit. Ignoranz ist weitverbreitet. Vielen ist gar nicht klar, welche ökologischen Auswirkungen ihr Kaufverhalten hat.
Jasmin Jaerisch und Michael Krüger
Kennen Sie die Thilafushi?
Abseits weißer Sandstrände liegt dieses vergessene Eiland im Nord-Male-Atoll und hält einen traurigen Weltrekord: Thilafushi gilt als größte Müllinsel der Welt! Sie dehnt sich mittlerweile auf 50 Hektar aus. Und sie wächst weiter, um rund einen Quadratmeter pro Tag. Täglich werden aus den maledivischen Resorts und von den Inseln bis zu 400 Tonnen Müll geliefert. Der Müll besteht hauptsächlich aus Bauschutt und Zivilisationsmüll. Nachdem die Landfläche von Thilafushi immer stärker anwuchs, entschloss die maledivische Regierung 1997 die Insel zur industriellen Nutzung zu verpachten. Mittlerweile haben sich Firmen aus dem Schiffbau, der Zementverpackung und Methan-Abfüllung angesiedelt. Damit die Hauptsadt Male entlastet wird, wurden auch große Lagerstätten gebaut. Die Verpachtung von Thilafushi bringt dem maledivischen Staat rund eine Million US-Dollar pro Jahr.
Mülltrennung war gerade in der Anfangsphase des Malediven-Tourismus ein Fremdwort. Viele Inseln kippten ihren Unrat einfach ins Meer und in die Riffe. Doch das schreckte natürlich Touristen und Taucher ab. Deshalb wurde die Müllinsel Thilafushi errichtet. Der Müll wurde hier zu Beginn einfach in große Gruben gefüllt und mit Korallensand und Bauschutt abgedeckt. Müllsortierung war aufgrund der riesigen Menge und fehlenden Infrastruktur nicht möglich. Mittlerweile wird der Müll aber getrennt und auf der Insel verbrannt. Die anstrengenden und schmutzigen Entsorgungsarbeiten werden von 150 Bengalen erledigt. Sie sind die ärmsten der Armen und arbeiten für einen Hungerlohn, mitten in einer luxuriösen Traum-Inselwelt.
Der starke Tourismus auf den Malediven hat einiges dazu beigetragen, dass Thilafushi entstanden ist. Jedes Jahr reisen doppelt so viele Touristen auf die Malediven, wie es Einheimische gibt! Aber ein Problem ist nicht nur der Müll. Der Wettbewerb um die Touristengunst treibt generell bizarre Blüten: Hinderliche Korallenriffe werden in Nacht- und Nebelaktionen mit Presslufthämmern zertrümmert, damit die Badegäste leichten Zugang zum Meer haben.
Immer mehr Touristen, die auf die Malediven reisen, nehmen ihren Müll wieder mit in ihr Heimatland. Eine gute Möglichkeit, die Müllinsel Thilafushi und damit die Malediven zu entlasten.
INTERVIEW DR. JAN ANDRIES VAN FRANEKER, FORSCHUNGSZENTRUM IMARES, INSEL TEXEL
„95 Prozent aller Eissturmvögel
haben Plastik im Magen!“
VON MICHAEL KRÜGER
Wissenschaftler des niederländischen Forschungszentrums Imares auf der Insel Texel untersuchen seit beinahe 30 Jahren die Mägen gestrandeter Eissturmvögel. Der versehentlich geschluckte Plastikmüll ist ein genauer Indikator, um die Schadstoffbelastung im Meer abzuschätzen. Seit zehn Jahren beteiligen sich daher alle Nordsee-Anrainerstaaten an dem Programm, um zu sehen, ob die beschlossenen Schutzmaßnahmen greifen.
Wie kamen Sie darauf, den Mageninhalt der Eissturmvögel zu sezieren? Warum gerade diese Tiere?
Dr. Jan Andries van Franeker: Eissturmvögel sind Allesfresser und verwechseln Plastikmüll und das Granulat mit Nahrung. Sie sind „fliegende Mülltonnen“ wie Möwen. Diese würgen allerdings unverdauliche Nahrung aus – Eissturmvögel nicht, und das macht sie zu idealen Forschungsobjekten.
Welche Erkenntnisse können Sie aus den Untersuchungen ziehen?
Eissturmvögel sind Stellvertreter für alle Meerestiere, Vögel und Wale. Alle leiden gleichermaßen darunter. Wir sezieren die Kadaver der gestrandeten Tiere im Imares-Institut, denn der Mageninhalt gibt Aufschluss über die Müllbelastung der Meere.
Wieviele Vögel hatten Plastikpartikel geschluckt?
Erschreckend viele! Von den 1270 untersuchten Eissturmvögeln hatten mehr als 95 Prozent Plastikmüll im Magen!
Was für Kunststoffe finden Sie in den Mägen?
Schaumstoff, Kunstoff, Granulat und alle Arten von Polymeren. Die meisten nur wenige Zentimeter lang. Durchschnittlich finden wir 35 Partikel mit einem Gesamtgewicht von durchschnittlich 0,31 Gramm in einem Magen. In den am meisten verschmutzten Bereichen, nahe des Ärmelkanals, sogar bis zu einem Gesamtgewicht von 0,6 Gramm!
Welcher Größe entspräche das auf den menschlichen Magen übertragen?
Hochgerechnet auf das Gewicht eines Menschen wäre das die Größe einer Brotdose.
Wie schlimm ist die Verschmutzung an der Nordseeküste?
Bis zu acht Kilogramm Abfall spült die Nordsee jeden Tag auf den Inselstrand von Texel, eine Nordseeinsel vor Holland.
Welche Region in der Nordsee ist besonders belastet?
Die südliche Nordsee, also die Deutsche Bucht bis zur französischen Kanalküste im Bereich des Ärmelkanals, ist am stärksten betroffen.
INTERVIEW PROF. DR: WALTER KAMINSKY, PROFESSOR FÜR MAKROMOLEKULARE CHEMIE, HAMBURG
„Durch Pyrolyse kann Plastik
zu 100 Prozent recycled werden!“
Kann man den Plastikmüll im Meer recyclen?
Bei den Plastikteilen handelt es sich um gemischte und verschmutzte Kunststoffe, die kaum durch Aufschmelzen wiederverwertet werden können, was energetisch am günstigsten wäre. Durch die Pyrolyse lassen sich aus den Polymeren nahezu 100 Prozent der Öle und Gase zurückgewinnen. Man darf natürlich nicht vergessen, dass zum Heizen der Anlagen wiederum 15 Prozent dieser Rohstoffe benötigt werden. Also kann man davon ausgehen, dass etwa 85 Prozent des im Polymeren steckenden Energieinhalts zurückgewonnen werden.
Wie funktioniert Pyrolyse?
Zur Pyrolyse muss der Kunststoffabfall in einem abgeschlossenen Behälter unter Sauerstoffausschluss erhitzt werden, wobei die großen Kunststoffmoleküle in kleine Bruchstücke gespalten werden, die sich in Gas und Öl auftrennen lassen. Dafür werden weltweit unterschiedliche Anlagen erprobt. Wir nutzen eine Wirbelschicht aus Sand, die besonders effektiv funktioniert, da der Wärmeübergang sehr gut ist.
Was unterscheidet die Pyrolyse von der Verbrennung?
Pyrolyse bedeutet thermische Zersetzung von Kunststoffabfällen unter Luftausschluss in einer indirekt beheizten Wirbelschicht. Ziel ist es, die Wertstoffe weitgehend rückstandsfrei zurückzugewinnen. Im Gegensatz zur Verbrennung bleiben die Kohlenwasserstoffstrukturen der Polymere erhalten und können zur Erzeugung von Petrochemikalien (chemische Produkte aus Erdgas und Erdöl, Anm. d. Red.) genutzt werden.
Funktioniert das bei allen Arten von Kunststoffabfällen?
Die Ergebnisse zeigen, dass die Pyrolyse geeignet ist, sowohl reine Kunststoffabfälle als auch Müll, der aus Mischmaterialien wie Gummi, Polyethylen und Polypropylen besteht, zu verarbeiten.
Welches Potenzial steckt dahinter?
Die überraschend hohen Aromatenausbeuten gaben den Anlass zur Errichtung einer größeren Apparatur. Diese Anlage hat 6000 Kilogramm Kunststoffabfälle verarbeitet. Daraus haben wir zur einen Hälfte Leichtbenzin und Steinkohleteer und zur anderen Hälfte ein methan- und ethylenhaltiges Gas gewonnen, das einen 20 Prozent höheren Heizwert als Erdgas besitzt. Darüber hinaus wurden Pilotanlagen mit Kapazitäten von 5000 bis 10 000 Tonnen Abfall pro Jahr von den Firmen ABB und BP errichtet.
Was bleibt an Schadstoffen übrig?
Prof. Kaminsky: Ein bis fünf Prozent mit Sand verunreinigter Ruß, der sämtliche im Ausgangsmaterial vorhandenen Füllstoffe und Schwermetalle enthält. Ansonsten entstehen geringe Mengen an Kohlenmonoxid und Stickoxyden – weitaus geringer als bei der Verbrennung.
Prof. Dr. Walter Kaminsky wurde 1941 in Hamburg geboren und studierte Chemie an der Universität Hamburg. Seit 1979 ist er Professor für technische und makromolekulare Chemie an der Universität Hamburg. Seine Forschung umfasst die umweltfreundliche Herstellung von Polyethylen und Polypropylen mithilfe von Metallocen/MAO- Katalysatoren und das Recycling von Kunststoffen und Reifen durch Pyrolyse.
INTERVIEW DR. ONNO GROSS, DEEPWAVE
Unkaputtbar: 450 Jahre dauert es, bis Plastik zersetzt ist
Meeresmüll ist ein großes Problem in den Ozeanen. Trotz strenger Gesetze landet eine immense Flut von Plastikteilen in den Meeren. Eine deutsche Expedition ging dem Ausmaß des Müllproblems in der Nordsee auf die Spur. Dr. Onno Groß von Deepwave berichtet von der Ausfahrt.
„Die UNEP (United Nations Environment Programme) schätzt, dass sechs Millionen Tonnen Plastik jährlich in die Meere gelangen, in die Nordsee gehen nach Schätzungen des Umweltbundesamts 20 000 Tonnen. Über Schiffe und Flüsse gelangt der Müll ins Meer, sinkt dort ab oder wird an den Stränden angeschwemmt. Im August 2010 startete daher die Deepwave-Marine-Litter-Expedition, um Daten und Proben zu sammeln und auf das Problem Meeresmüll aufmerksam zu machen.
Im Lauf der Expedition wurde an den Tiefwasserhäfen Bremerhaven, Wilhelmshaven, Helgoland und Borkum Halt gemacht. Das Expeditionsschiff war die ‚Fleur de Passion‘ der Schweizer Stiftung Antinea (www.antinea-foundation.org). Die Stiftung unterstützt Forschungsvorhaben.
Die erste Station unserer Expedition war östlich der Insel Mellum in der Wesermündung. Schon hier wurde das Problem schnell deutlich: In einer Planktonprobe fanden sich Farbteilchen, Fasern und andere Stoffe.
Danach folgte der Besuch der Naturschutz-insel Minsener Oog, da die Belastung mit Meeresmüll besonders an den streng geschützten Nationalparkinseln sichtbar ist – obwohl an den Touristenstränden mit großem Aufwand weggeräumt wird. Von angeschwemmten Fernsehmonitoren bis hin zur Gummipuppe berichtete der Vogelwart. Dazwischen fanden wir immer wieder in Netzen erdrosselte Meeresvögel.
Die Meeresautobahn kurz vor Helgoland zeigte dann auch die Herkunft des Mülls. Denn exakt mit dem Erreichen dieser Schifffahrtsroute zur Elbmündung schwammen blaue Müllsäcke, entsorgte Plastikeimer, Dosen und Kanister auf der Meeresoberfläche. Da strenge Kontrollen fehlen, ist es immer noch leichter, den Müll ins Meer zu entsorgen, anstatt ihn an Land teuer zu bezahlen. UNEP hat zur Zählung des schwimmenden Mülls ein Messprotokoll erfasst: Für 20 Minuten wird bei sechs Knoten Fahrt in einem Sichtkorridor von drei Meter Breite alles Treibgut detailliert erfasst. Diese Daten werden dann weiter nach Frankreich geleitet. An insgesamt 18 Stationen dokumentierten die Expeditionsteilnehmer die Belastung mit Müll und beproben die Sandstrände auf der Suche nach Mikroplastik.
Geschätzte 450 Jahre braucht es, bis Plastik im Meer aufgelöst ist. Vorher wird es immer kleiner und gelangt so in die Nahrungskette, bis es im Fischfilet bei uns auf dem Teller landet. Die Expedition hat gezeigt: Auch vor unseren Küsten tickt eine ökologische Zeitbombe. Es wird Zeit, sich dieser Gefahr anzunehmen.“
Wir als Tauchtouristen sind nicht unerheblich am Plastikproblem
beteiligt. Jeder kann mithelfen, Müll zu vermeiden
1. Keinen Müll im Urlaub lassen. Mitnehmen und zu Hause getrennt entsorgen (alte Shampoo- und Duschgelflaschen sowie Rasierer haben nichts im Hotelabfall verloren. Auf gar keinen Fall Sondermüll wie Batterien!)
2. Statt Plastikflaschen zu Trinkflaschen greifen
3. Auf Einwegartikel verzichten
4. Andere über die Problematik aufklären
5. Als Taucher auch unter Wasser Müll einsammeln
6. An Beach-clean-ups teilnehmen
Das Rote Meer hat ein massives Problem mit Plastikmüll. Nicht alle schauen tatenlos zu: Red Sea Diving Safari und Beluga Reisen unternehmen etwas dagegen. „Jeder Taucher verbraucht am Tag circa vier Flaschen Wasser, das bedeutet hochgerechnet eine Million Plastikflaschen im Jahr“, sagt Axel Becker von Beluga Reisen. Beim Check-in in einem der drei Red-Sea-Diving-Safari-Lodges gibt es eine Trinkflasche für fünf Euro, die an 45 Wasserspendern befüllt werden kann.
Etliche Hotels und Basen am Roten Meer organisieren Beach-clean-up-Aktionen. Im Gorgonia Beach Resort bei Marsa Alam findet die Sammel-aktion zwei Mal im Monat statt, und das Team, das den meisten Müll sammeln konnte, gewinnt ein Abendessen im Hotel.
Der Müll wird von der HEPCA abgeholt und recycelt.
www.redsea-divingsafari.com
www.belugareisen.de
von Jasmin Jaerisch/Michael Krüger
Plastiktüten flattern in den entlegensten Landstrichen. Abfallinseln entstehen in den entferntesten Atollen: Kunststoffmüll ist ein Riesenproblem – weltweit. Mehr als 6,4 Millionen Tonnen Kunststoffe gelangen jedes Jahr in die Ozeane. Einmal benutzt – für immer da: Bis zu 450 Jahre kann es dauern, bis der künstliche Abfall durch Sonne, Reibung und Salzwasser zersetzt wird. Die Relikte unserer Wegwerfgesellschaft stellen für die Lebewesen an Küsten und in den Meeren eine massive Bedrohung dar.
Das Meer verkommt immer mehr zur Plastikmüllkippe: In einigen Meeresregionen gibt es sechs Mal mehr Plastik als Plankton im Wasser! Die kleinen Plastikkrümel ähneln Plankton und Fischeiern. Fische, Seevögel und Säugetiere verwechseln den Kunststoffmüll mit Nahrung und fressen ihn. Die Folge: Viele Meerestiere ersticken an den Partikeln. Die kleinen Bruchstücke verstopfen außerdem den Verdauungsapparat. Seevögel wie der Eissturmvogel verhungern mit vollen Mägen. „In mehr als 95 Prozent der untersuchten Vögel finde ich Plastik“, berichtet Dr. Jan Andries van Franeker vom niederländischen Forschungszentrum Imares (siehe Kasten auf Seite 66). Kunststoffe haben zudem die Eigenschaft, ölige Schadstoffe wie Pestizide und Herbizide aufzunehmen, die aus der Landwirtschaft ins Meer gelangen. Viele Meerestiere sterben einfach an dem Giftcocktail, den sie dadurch aufnehmen.
Rund eine Million Seevögel und 100 000 Meeressäugetiere sowie Schildkröten fallen jährlich den Überresten von Plastikmüll zum Opfer. Die Tiere verheddern sich in treibenden Netzresten und verhungern. Basstölpel und Möwen auf dem Helgoländer Vogelfelsen brüten längst nicht mehr auf Steinen, sondern bauen sich Nester aus Treibgut und Fischernetzen. Viele vergiften sich, denn die absorbierten Chemikalien sind gefährlicher als das Plastik an sich. Durch die Bioakkumulation (Anreicherung des Organismus mit Schadstoffen), die sich durch die gesamte Nahrungskette fortsetzt, landet der giftige Abfall schlussendlich beim fischverzehrenden Verursacher: dem Menschen selbst.
Strömungen und Meereswirbel sorgen für die weltweite Verbreitung des Mülls. Bizarres Beispiel: Hawaii – da denken die meisten eher an traumhafte Inseln und bunte Blumenketten als an schwimmende Müllkippen und Plastikfetzen. Dabei ist die Assoziation gar nicht so abwegig. Zwischen der Aloha-Inselkette und dem amerikanischen Festland schwimmt ein Plastikteppich aus Abfall mit unvorstellbaren Ausmaßen: Dieses von Menschenhand geschaffene Eiland namens „Great Pacific Garbage Patch“ ist so groß wie Mitteleuropa!
Die Frage ist: Wie kommt der Müll gerade dorthin? Besonders anschaulich wird die Meeresströmung anhand der Reise der „Friendly Floatees“. Die berühmte Frachterladung mit Badeenten treibt seit mittlerweile 18 Jahren mit der Strömung über die Weltmeere. Rückblick: 1992 verlor ein Containerschiff im Ostpazifik eine Ladung mit rund 30 000 Spielzeugenten. Zwei Drittel trieben nach Süden, einige wurden in Australien, Indonesien und Südamerika gefunden. Ein Drittel gelangte durch die Beringsee über Alaska, Nordamerika und den Golfstrom bis nach Europa. Einige der Enten sind seit mehr als 18 Jahren unterwegs und legten eine Strecke von fast 30 000 Kilometern im Meer zurück. Für Meeresforscher und Ozeanografen wurden die Quietscheentchen interessant, weil ihr Schwimmverhalten Aufschlüsse über das globale Förderband der Meere gibt.
Meereswirbel transportieren alles – auch den Abfall. Sie werden durch Winde und die Erdrotation in Bewegung gebracht. „Die enormen Wassermassen reißen alles mit“, so der Ozeanograf Curtis Ebbesmeyer aus Seattle. Das Gleiche passiert mit den schwimmfähigen Kunststoffpartikeln, die sich wie im Karussell drehen und immer mehr werden. Dieser schwimmende Abfall macht nur etwa 15 Prozent des Mülls aus. Mehr als 70 Prozent sinken auf den Meeresboden –, der Rest wird an den Küsten angespült – was wir sehen, ist also nur die Spitze des Eisbergs. Woher kommt der ganze Plastikschrott? Solche Abfälle gelangen selten durch Unfälle ins Meer. Meist „ganz natürlich“ und quasi als „routinemäßig ablaufende Prozesse“: Ein großer Teil des Plastikmülls stammt von Fischereiausrüstungen. Viele Schiffe entsorgen achtlos Abfälle, und auch die Offshore-Industrie (Öl- und Gasplattformen, Aquakulturen) sorgen für Nachschub. Und letztlich sind es unsere Wegwerf-Hinterlassenschaften, die über Abwässer, Deponien, illegale Entsorgung und die Tourimusbranche an die entlegensten Ecken der Welt gelangen.
Das Plastikmüllproblem ist längst bei uns angekommen: In Nord- und Ostsee sieht’s nicht viel besser aus: Nach Auskunft des Umweltbundesamts (UBA) haben sich die jährlich in die Nordsee gekippten 20 000 Tonnen Müll auf etwa 600 000 Kubikmeter auf und im Meeresboden angesammelt. Die Strände des Nordostatlantiks weisen im Durchschnitt 712 Müllteile pro 100 Meter Küstenlinie auf.
Die Gefahren der im Meer kreisenden Müllteppiche sind bekannt – die „Great Pacific Garbage Patch“ ein mahnendes Beispiel. Der Massentourismus bringt Millionen Tonnen Müll in die abgelegensten Ecken unseres Planeten und führt dort zu massiven Entsorgungsproblemen. Oftmals sind arme Länder plötzlich mit einem riesigen Müllproblem konfrontiert. Natürlich ist es einfach, die extremen Auswüchse des Massentourismus zu diskreditieren und den mahnenden Zeigefinger zu erheben. Aber Taucher sind Teil dieser Entwicklung, und das Plastikproblem hat jeder von uns zu verschulden. Wir kennen es alle: die Plastiktüte im Supermarkt, die unnötigen Einweg-Plastikflaschen, die im Korb landen und als schwer abbaubarer Müll im Meer für jahrhundertelangen Schaden sorgen. Konsequenz ist schwer und kostet Zeit. Ignoranz ist weitverbreitet. Vielen ist gar nicht klar, welche ökologischen Auswirkungen ihr Kaufverhalten hat.
Jasmin Jaerisch und Michael Krüger
Kennen Sie die Thilafushi?
Abseits weißer Sandstrände liegt dieses vergessene Eiland im Nord-Male-Atoll und hält einen traurigen Weltrekord: Thilafushi gilt als größte Müllinsel der Welt! Sie dehnt sich mittlerweile auf 50 Hektar aus. Und sie wächst weiter, um rund einen Quadratmeter pro Tag. Täglich werden aus den maledivischen Resorts und von den Inseln bis zu 400 Tonnen Müll geliefert. Der Müll besteht hauptsächlich aus Bauschutt und Zivilisationsmüll. Nachdem die Landfläche von Thilafushi immer stärker anwuchs, entschloss die maledivische Regierung 1997 die Insel zur industriellen Nutzung zu verpachten. Mittlerweile haben sich Firmen aus dem Schiffbau, der Zementverpackung und Methan-Abfüllung angesiedelt. Damit die Hauptsadt Male entlastet wird, wurden auch große Lagerstätten gebaut. Die Verpachtung von Thilafushi bringt dem maledivischen Staat rund eine Million US-Dollar pro Jahr.
Mülltrennung war gerade in der Anfangsphase des Malediven-Tourismus ein Fremdwort. Viele Inseln kippten ihren Unrat einfach ins Meer und in die Riffe. Doch das schreckte natürlich Touristen und Taucher ab. Deshalb wurde die Müllinsel Thilafushi errichtet. Der Müll wurde hier zu Beginn einfach in große Gruben gefüllt und mit Korallensand und Bauschutt abgedeckt. Müllsortierung war aufgrund der riesigen Menge und fehlenden Infrastruktur nicht möglich. Mittlerweile wird der Müll aber getrennt und auf der Insel verbrannt. Die anstrengenden und schmutzigen Entsorgungsarbeiten werden von 150 Bengalen erledigt. Sie sind die ärmsten der Armen und arbeiten für einen Hungerlohn, mitten in einer luxuriösen Traum-Inselwelt.
Der starke Tourismus auf den Malediven hat einiges dazu beigetragen, dass Thilafushi entstanden ist. Jedes Jahr reisen doppelt so viele Touristen auf die Malediven, wie es Einheimische gibt! Aber ein Problem ist nicht nur der Müll. Der Wettbewerb um die Touristengunst treibt generell bizarre Blüten: Hinderliche Korallenriffe werden in Nacht- und Nebelaktionen mit Presslufthämmern zertrümmert, damit die Badegäste leichten Zugang zum Meer haben.
Immer mehr Touristen, die auf die Malediven reisen, nehmen ihren Müll wieder mit in ihr Heimatland. Eine gute Möglichkeit, die Müllinsel Thilafushi und damit die Malediven zu entlasten.
INTERVIEW DR. JAN ANDRIES VAN FRANEKER, FORSCHUNGSZENTRUM IMARES, INSEL TEXEL
„95 Prozent aller Eissturmvögel
haben Plastik im Magen!“
VON MICHAEL KRÜGER
Wissenschaftler des niederländischen Forschungszentrums Imares auf der Insel Texel untersuchen seit beinahe 30 Jahren die Mägen gestrandeter Eissturmvögel. Der versehentlich geschluckte Plastikmüll ist ein genauer Indikator, um die Schadstoffbelastung im Meer abzuschätzen. Seit zehn Jahren beteiligen sich daher alle Nordsee-Anrainerstaaten an dem Programm, um zu sehen, ob die beschlossenen Schutzmaßnahmen greifen.
Wie kamen Sie darauf, den Mageninhalt der Eissturmvögel zu sezieren? Warum gerade diese Tiere?
Dr. Jan Andries van Franeker: Eissturmvögel sind Allesfresser und verwechseln Plastikmüll und das Granulat mit Nahrung. Sie sind „fliegende Mülltonnen“ wie Möwen. Diese würgen allerdings unverdauliche Nahrung aus – Eissturmvögel nicht, und das macht sie zu idealen Forschungsobjekten.
Welche Erkenntnisse können Sie aus den Untersuchungen ziehen?
Eissturmvögel sind Stellvertreter für alle Meerestiere, Vögel und Wale. Alle leiden gleichermaßen darunter. Wir sezieren die Kadaver der gestrandeten Tiere im Imares-Institut, denn der Mageninhalt gibt Aufschluss über die Müllbelastung der Meere.
Wieviele Vögel hatten Plastikpartikel geschluckt?
Erschreckend viele! Von den 1270 untersuchten Eissturmvögeln hatten mehr als 95 Prozent Plastikmüll im Magen!
Was für Kunststoffe finden Sie in den Mägen?
Schaumstoff, Kunstoff, Granulat und alle Arten von Polymeren. Die meisten nur wenige Zentimeter lang. Durchschnittlich finden wir 35 Partikel mit einem Gesamtgewicht von durchschnittlich 0,31 Gramm in einem Magen. In den am meisten verschmutzten Bereichen, nahe des Ärmelkanals, sogar bis zu einem Gesamtgewicht von 0,6 Gramm!
Welcher Größe entspräche das auf den menschlichen Magen übertragen?
Hochgerechnet auf das Gewicht eines Menschen wäre das die Größe einer Brotdose.
Wie schlimm ist die Verschmutzung an der Nordseeküste?
Bis zu acht Kilogramm Abfall spült die Nordsee jeden Tag auf den Inselstrand von Texel, eine Nordseeinsel vor Holland.
Welche Region in der Nordsee ist besonders belastet?
Die südliche Nordsee, also die Deutsche Bucht bis zur französischen Kanalküste im Bereich des Ärmelkanals, ist am stärksten betroffen.
INTERVIEW PROF. DR: WALTER KAMINSKY, PROFESSOR FÜR MAKROMOLEKULARE CHEMIE, HAMBURG
„Durch Pyrolyse kann Plastik
zu 100 Prozent recycled werden!“
Kann man den Plastikmüll im Meer recyclen?
Bei den Plastikteilen handelt es sich um gemischte und verschmutzte Kunststoffe, die kaum durch Aufschmelzen wiederverwertet werden können, was energetisch am günstigsten wäre. Durch die Pyrolyse lassen sich aus den Polymeren nahezu 100 Prozent der Öle und Gase zurückgewinnen. Man darf natürlich nicht vergessen, dass zum Heizen der Anlagen wiederum 15 Prozent dieser Rohstoffe benötigt werden. Also kann man davon ausgehen, dass etwa 85 Prozent des im Polymeren steckenden Energieinhalts zurückgewonnen werden.
Wie funktioniert Pyrolyse?
Zur Pyrolyse muss der Kunststoffabfall in einem abgeschlossenen Behälter unter Sauerstoffausschluss erhitzt werden, wobei die großen Kunststoffmoleküle in kleine Bruchstücke gespalten werden, die sich in Gas und Öl auftrennen lassen. Dafür werden weltweit unterschiedliche Anlagen erprobt. Wir nutzen eine Wirbelschicht aus Sand, die besonders effektiv funktioniert, da der Wärmeübergang sehr gut ist.
Was unterscheidet die Pyrolyse von der Verbrennung?
Pyrolyse bedeutet thermische Zersetzung von Kunststoffabfällen unter Luftausschluss in einer indirekt beheizten Wirbelschicht. Ziel ist es, die Wertstoffe weitgehend rückstandsfrei zurückzugewinnen. Im Gegensatz zur Verbrennung bleiben die Kohlenwasserstoffstrukturen der Polymere erhalten und können zur Erzeugung von Petrochemikalien (chemische Produkte aus Erdgas und Erdöl, Anm. d. Red.) genutzt werden.
Funktioniert das bei allen Arten von Kunststoffabfällen?
Die Ergebnisse zeigen, dass die Pyrolyse geeignet ist, sowohl reine Kunststoffabfälle als auch Müll, der aus Mischmaterialien wie Gummi, Polyethylen und Polypropylen besteht, zu verarbeiten.
Welches Potenzial steckt dahinter?
Die überraschend hohen Aromatenausbeuten gaben den Anlass zur Errichtung einer größeren Apparatur. Diese Anlage hat 6000 Kilogramm Kunststoffabfälle verarbeitet. Daraus haben wir zur einen Hälfte Leichtbenzin und Steinkohleteer und zur anderen Hälfte ein methan- und ethylenhaltiges Gas gewonnen, das einen 20 Prozent höheren Heizwert als Erdgas besitzt. Darüber hinaus wurden Pilotanlagen mit Kapazitäten von 5000 bis 10 000 Tonnen Abfall pro Jahr von den Firmen ABB und BP errichtet.
Was bleibt an Schadstoffen übrig?
Prof. Kaminsky: Ein bis fünf Prozent mit Sand verunreinigter Ruß, der sämtliche im Ausgangsmaterial vorhandenen Füllstoffe und Schwermetalle enthält. Ansonsten entstehen geringe Mengen an Kohlenmonoxid und Stickoxyden – weitaus geringer als bei der Verbrennung.
Prof. Dr. Walter Kaminsky wurde 1941 in Hamburg geboren und studierte Chemie an der Universität Hamburg. Seit 1979 ist er Professor für technische und makromolekulare Chemie an der Universität Hamburg. Seine Forschung umfasst die umweltfreundliche Herstellung von Polyethylen und Polypropylen mithilfe von Metallocen/MAO- Katalysatoren und das Recycling von Kunststoffen und Reifen durch Pyrolyse.
INTERVIEW DR. ONNO GROSS, DEEPWAVE
Unkaputtbar: 450 Jahre dauert es, bis Plastik zersetzt ist
Meeresmüll ist ein großes Problem in den Ozeanen. Trotz strenger Gesetze landet eine immense Flut von Plastikteilen in den Meeren. Eine deutsche Expedition ging dem Ausmaß des Müllproblems in der Nordsee auf die Spur. Dr. Onno Groß von Deepwave berichtet von der Ausfahrt.
„Die UNEP (United Nations Environment Programme) schätzt, dass sechs Millionen Tonnen Plastik jährlich in die Meere gelangen, in die Nordsee gehen nach Schätzungen des Umweltbundesamts 20 000 Tonnen. Über Schiffe und Flüsse gelangt der Müll ins Meer, sinkt dort ab oder wird an den Stränden angeschwemmt. Im August 2010 startete daher die Deepwave-Marine-Litter-Expedition, um Daten und Proben zu sammeln und auf das Problem Meeresmüll aufmerksam zu machen.
Im Lauf der Expedition wurde an den Tiefwasserhäfen Bremerhaven, Wilhelmshaven, Helgoland und Borkum Halt gemacht. Das Expeditionsschiff war die ‚Fleur de Passion‘ der Schweizer Stiftung Antinea (www.antinea-foundation.org). Die Stiftung unterstützt Forschungsvorhaben.
Die erste Station unserer Expedition war östlich der Insel Mellum in der Wesermündung. Schon hier wurde das Problem schnell deutlich: In einer Planktonprobe fanden sich Farbteilchen, Fasern und andere Stoffe.
Danach folgte der Besuch der Naturschutz-insel Minsener Oog, da die Belastung mit Meeresmüll besonders an den streng geschützten Nationalparkinseln sichtbar ist – obwohl an den Touristenstränden mit großem Aufwand weggeräumt wird. Von angeschwemmten Fernsehmonitoren bis hin zur Gummipuppe berichtete der Vogelwart. Dazwischen fanden wir immer wieder in Netzen erdrosselte Meeresvögel.
Die Meeresautobahn kurz vor Helgoland zeigte dann auch die Herkunft des Mülls. Denn exakt mit dem Erreichen dieser Schifffahrtsroute zur Elbmündung schwammen blaue Müllsäcke, entsorgte Plastikeimer, Dosen und Kanister auf der Meeresoberfläche. Da strenge Kontrollen fehlen, ist es immer noch leichter, den Müll ins Meer zu entsorgen, anstatt ihn an Land teuer zu bezahlen. UNEP hat zur Zählung des schwimmenden Mülls ein Messprotokoll erfasst: Für 20 Minuten wird bei sechs Knoten Fahrt in einem Sichtkorridor von drei Meter Breite alles Treibgut detailliert erfasst. Diese Daten werden dann weiter nach Frankreich geleitet. An insgesamt 18 Stationen dokumentierten die Expeditionsteilnehmer die Belastung mit Müll und beproben die Sandstrände auf der Suche nach Mikroplastik.
Geschätzte 450 Jahre braucht es, bis Plastik im Meer aufgelöst ist. Vorher wird es immer kleiner und gelangt so in die Nahrungskette, bis es im Fischfilet bei uns auf dem Teller landet. Die Expedition hat gezeigt: Auch vor unseren Küsten tickt eine ökologische Zeitbombe. Es wird Zeit, sich dieser Gefahr anzunehmen.“
Wir als Tauchtouristen sind nicht unerheblich am Plastikproblem
beteiligt. Jeder kann mithelfen, Müll zu vermeiden
1. Keinen Müll im Urlaub lassen. Mitnehmen und zu Hause getrennt entsorgen (alte Shampoo- und Duschgelflaschen sowie Rasierer haben nichts im Hotelabfall verloren. Auf gar keinen Fall Sondermüll wie Batterien!)
2. Statt Plastikflaschen zu Trinkflaschen greifen
3. Auf Einwegartikel verzichten
4. Andere über die Problematik aufklären
5. Als Taucher auch unter Wasser Müll einsammeln
6. An Beach-clean-ups teilnehmen
Das Rote Meer hat ein massives Problem mit Plastikmüll. Nicht alle schauen tatenlos zu: Red Sea Diving Safari und Beluga Reisen unternehmen etwas dagegen. „Jeder Taucher verbraucht am Tag circa vier Flaschen Wasser, das bedeutet hochgerechnet eine Million Plastikflaschen im Jahr“, sagt Axel Becker von Beluga Reisen. Beim Check-in in einem der drei Red-Sea-Diving-Safari-Lodges gibt es eine Trinkflasche für fünf Euro, die an 45 Wasserspendern befüllt werden kann.
Etliche Hotels und Basen am Roten Meer organisieren Beach-clean-up-Aktionen. Im Gorgonia Beach Resort bei Marsa Alam findet die Sammel-aktion zwei Mal im Monat statt, und das Team, das den meisten Müll sammeln konnte, gewinnt ein Abendessen im Hotel.
Der Müll wird von der HEPCA abgeholt und recycelt.
www.redsea-divingsafari.com
www.belugareisen.de