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Das ganze Ausmaß
von Jasmin Jaerisch/Michael Krüger
Die Havarie der „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko hat eine der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte der USA ausgelöst. 780 Millionen Liter Rohöl sind ins Meer geflossen. Die Folge: ein völlig zerstörtes Ökosystem!
Das Bohrloch ist dicht, der Ölfluss gestoppt, aber die Schäden für das Ökosystem Meer bleiben: Die Havarie der „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko wird unrühmlich als „größte Umweltkatastrophe in der Geschichte der Menschheit“ eingehen. Ein Super-GAU für die Tier- und Pflanzenwelt. Das wahre Ausmaß der Ölpest lässt sich nur erahnen. Es wird Jahrzehnte dauern, bis sich das Gebiet von dem Desaster erholt hat. Und dennoch: Das Bohren geht weiter! Ölmulti BP beginnt mit der Erschließung eines riesigen Offshore-Ölfelds vor der libyschen Küste in 1700 Metern Tiefe. Weltweit sind nach Greenpeace-Angaben rund 800 Offshore-Plattformen auf etwa 300 Ölfeldern im Einsatz – Tendenz steigend!
Inzwischen findet mehr als ein Fünftel der weltweiten Ölförderung auf See statt. Trotz der Umweltkatastrophe wird es nach Ansicht der Ölindustrie auch in Zukunft Bohrungen in großen Meerestiefen geben.
Bei die Erschließung des Offshore-Ölfelds vor der libyschen Küste – 200 Meter tiefer als bei der havarierten Ölbohrinsel ist Skepsis angebracht: Die Risiken der Tiefseebohrungen scheinen im Falle des „Blow-outs“, also eines unkontrollierten Ölaustritts, kaum beherrschbar. Zur Info: Zeitweise breitete sich ein fast 10 000 Kilometer großer Ölteppich – das ist die 18-fache Fläche des Bodensees – im Randmeer des Atlantiks aus. Ziel ungewiss. Rund 780 Millionen Liter Rohöl sollen seit dem Untergang der Plattform im April ins Meer geflossen sein. Ein Viertel davon wurde abgesaugt oder verbrannt. Weitere sieben Millionen Liter Öl zersetzende Chemikalien sind im Golf von Mexiko eingesetzt worden.
Rückblick: 20. April 2010. Explosion der Bohrinsel „Deepwater Horizon“.
Elf Arbeiter sterben, 126 werden gerettet. Zwei Tage später versinkt die brennende Plattform im Meer. Drei Monate lang sprudelten täglich elf Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko. Das Hauptproblem: Das Bohrloch liegt in 1500 Meter Tiefe. Für Taucher unerreichbar, für Tauchroboter sind Reparaturen und Abdichtungen unmöglich. Drei Lecks werden entdeckt. Das ausgetretene Öl an der Oberfläche soll mit dem Supertanker „The Whale“ abgesaugt werden. Hoher Wellengang verhindert eine erfolgreiche Aktion. Das gleiche gilt für die Barrieren im Küstenbereich.
Auch der nächste Versuch scheitert: Riesige Stahlglocken werden über die Austrittstelle gestülpt und sollen das Öl abfangen – in dieser Tiefe wurde das noch nie probiert. Fünf Wochen später, am 26. Mai, startet BP mit „Top Kill“ einen weiteren Versuch, das Leck zu schließen. Eine im Irakkrieg bewährte Methode bei den brennenden Ölfeldern von Kuweit. Dabei sollte das Bohrloch von innen verstopft werden. Mehr als fünf Millionen Liter Spezialschlamm und Gummireste werden unter hohem Druck in den Bohrlochaufsatz gepumpt. Die Masse soll wie ein Pfropf auf das Öl wirken und anschließend durch Zement ersetzt werden. Doch die Operation „Top Kill“ scheitert. BP gelingt es nicht, das austretende Öl zu bremsen. Der Pfropfen ist nicht dicht. Am 15. Juli setzt BP einen 68 Tonnen schweren Zylinder auf das Sicherheitsventil. Parallel arbeitet der Konzern an einem Nebenzugang zum Hauptbohrloch. Kritiker werfen BP Konfusion statt kalkuliertem Krisenmanagement vor.
Am 3. August dann endlich der Erfolg. Die Operation „Static Kill“ mit eingepumptem Schlamm und dem Verschluss mit Zement bringt das schwarze Sprudeln zum Stoppen. Die finale „Bottom Kill“-Aktion, bei der auch die Nebenzugänge mit der Masse versiegelt werden, halten die Quelle in 1500 Metern dicht. „Ein langer Kampf nähert sich dem Ende“, lässt US-Präsident Barack Obama verkünden. BP spricht vom Meilenstein im Kampf gegen die Ölpest.
Happy End? Bei der „Deepwater Horizon“ ging sowohl technisch als auch aus Sicht des Managements vieles schief. Die gesamte Ölindustrie ist gewarnt. Es geht um viel Geld und die Gefährdung von Ökosystemen. Erdöl ist der wichtigste Energieträger – mehr als ein Drittel des weltweiten kommerziellen Verbrauchs wird damit gedeckt. Das in der Erdkruste eingelagerte Stoffgemisch gehört wie Kohle und Gas zu den fossilen Energieträgern. Aber das Problem ist nicht das Erdöl, sondern der „Faktor Mensch“ und die kommerzielle Nutzung des Rohstoffs. Förderung, Verarbeitung, Transport und Verbrauch belasten die Umwelt. Plattformen, Tanker und Pipelines gelten zwar als sicher, Havarien und undichte Pipelines gehören aber zur Tagesordnung.
Es hat Millionen Jahre gedauert, bis aus organischen Substanzen Erdöl und Erdgas entstanden ist – 150 Jahre reichten der Menschheit, um den größten Teil zu verbrauchen. Wie viel Rohöl beim weiteren Transport aus undichten Pipelines und Tankern von der Öffentlichkeit unbemerkt im „Deep Blue“ der Ozeane versickert, bleibt weiterhin ungewiss. Solange es abseits der Küsten und in menschenleeren Regionen der Welt passiert, wird der schwarze Teppich das dunkle Geheimnis der Meere bleiben.
Die Ölkatastrophe hat verheerende Folgen für die Tierwelt: Laut Louisianas Ministerium für Natur und Fischerei sind 445 Fischarten, 45 Säugetierarten, 32 Amphibienarten und 134 Vogelarten unmittelbar durch den wabernden Ölteppich bedroht.
Was macht den natürlichen Rohstoff so gefährlich?
Unraffiniertes Erdöl ist mit mehr als 17 000 Bestandteilen eine sehr komplexe Mischung aus organischen Stoffen. Die im Erdöl enthaltenen Naphthene, Olefine und Aromaten sind giftig und gelten als krebserregend. Plankton und Mikroorganismen werden geschädigt. Am meisten sind jedoch Fische und Vögel betroffen, die sich über die Nahrungskette oder über Körperkontakt, Atmung und Absorption belasten. Auf den Kiemen der Fische führt der Ölfilm zum Ersticken, auf dem Gefieder der Vögel zur Flugunfähigkeit und Zerstörung der Isolationswirkung.
Der auf dem Meer schwimmende schwarze Teppich verhindert den Gasaustausch zwischen Luft und Wasser. Um einen Tropfen Öl abzubauen, wird Sauerstoff von 100 Litern Meerwasser benötigt. Die toxischen Bestandteile schädigen das Ökosystem. Flüssiges Öl, Emulsionen und Teerklumpen richten verheerende Schäden an Stränden und Küstenregionen an.
Fische
„Fische nehmen das Öl direkt über die Kiemen sowie über die Nahrungskette auf“, informiert WWF-Meeresschutzexperte Stephan Lutter. Die Fischbrut sei extrem empfindlich gegen Öltoxine. Und: „Der Golf von Mexiko ist der einzige Ort im Westatlantik, an dem der bedrohte Blauflossenthunfisch seine Laichgründe hat“, so der Meeresbiologe. Auch der Menaden, eine Heringsart, ist direkt vom Öl betroffen. Der Fisch zieht seine Nahrung aus dem Wasser, indem er es filtert. So kann das Öl direkt in seinen Organismus gelangen. Roter Schnapper, Zackenbarsche und Stachelmakrelen leben in den gefährdeten Gebieten. Seit dem 2. Juni 2010 gilt ein Fischfangverbot im Bereich der Mississippi-Mündung und der Küste Floridas. Besonders gefährdet sind auch viele Arten von Tiefseefischen, die in den Kaltwasserkorallenriffen vor der Küste Floridas ihre Kinderstube haben. Die Forscher glauben, dass das Öl auch die Fortpflanzung der Tiere beeinträchtigt.
Korallen, Muscheln & Krebse
Krustentiere wie Hummer und Krabben sind durch ihre aasfressende Lebensweise als Gifstoffaufnehmer extrem gefährdet. Erste Emulsionen wurden in Krebstieren gefunden: „In Blaukrabben wurden erhebliche Ölrückstände nachgewiesen”, berichtet Stephan Lutter. Das Problem: Die Giftmenge vervielfältige sich so bei den größeren Lebewesen immer mehr. Für die Tiere an der Spitze der Nahrungskette wie Delphine oder Thunfische eine gefährliche Dosis. Das Gleiche gilt für Muscheln als Filtrierer. Auch Korallenformen, wie die sensiblen Kaltwasserkorallen, können die ölbeladenen Nahrungspartikel nicht verdauen und sind in großer Anzahl bedroht. Fatal, weil sie das Fundament des reichen Ökosystems am Golf von Mexiko bilden, das mindestens 1300 marine Arten umfasst.
Säugetiere & Reptilien
Im Golf von Mexiko leben etwa 5000 Große Tümmler sowie Pottwale. „Über Körperkontakt, Atmung und die Nahrungsaufnahme gelangen die Giftstoffe in die Organismen“, sagt Sylvia Frey, Wissenschaftlerin der Schweizer Meeresschutzorganisation „OceanCare“. „Wenn die Meeressäuger zum Luftholen auftauchen, bleibt die klebrige Masse an ihnen haften und die giftigen Stoffe gelangen in die Atemwege“, so die Leiterin der Fachstelle für Walforschung. Als Lebewesen am Ende der Nahrungskette wären sie auch indirekt betroffen: „Ölverseuchtes Plankton, vergiftete Tintenfische und Fische sowie Seegras und Pflanzen sind eine Bedrohung für die Meeressäuger“, so Frey. Das gelte auch für die sehr seltenen Karibik-Manatis, die entlang der Golfküste in warme Gewässer wandern. Auch viele Schildkröten-Arten – darunter die bedrohte Karibische Bastardschildkröte – leiden unter der schwarzen Pest. Zusätzlich sind sie an Land gefährdet, wenn sie zur Eiablage an die Strände kommen. Landsäugetiere, die sich mit ölverschmiertem Aas vergiften, sind potenziell betroffen. Robben und Seeottern droht in kälteren Gewässern zusätzlich der Tod durch Auskühlung, da das Öl die isolierende Wirkung des Fells zerstört.
Vögel
Verheerende Folgen für Zehntausende Küstenvögel: „Betroffen sind besonders die Arten, die im Katastrophengebiet brüten oder wichtige Nahrungs- und Rastgebiete haben“, erläutert Dr. Kim Cornelius Detloff, Referent für Meeresschutz vom Umweltverband NABU. Dazu gehöre auch der Wappenvogel Louisianas, der Braunpelikan, aber auch Rötelreiher, Zwergseeschwalben und Seeregenpfeifer seien betroffen. Aasfresser wie Möwen oder Seeadler nehmen das Öl wiederum durch den Verzehr von Kadavern auf.
Das Erfolgsmodell
Am 3. August hatte die Operation „Static Kill“ Erfolg. Das Bohrschiff „Discoverer Enterprise“ konnte das Ölleck mit Schlamm stopfen. Nachdem der Druck stabil blieb, wurde das Bohrloch mit Zement versiegelt. Zusätzlich wird seit Anfang Mai versucht, die Bohrleitung auch von „unten“ her zu versiegeln
Kaum Perspektive
Die Küstenfischerei ist eine wichtige Einnahmequelle am Golf. Das Öl hat die Fischbestände auf lange Zeit geschädigt. Ihre Zukunft ist ungewiss
Strandwächter
Überall an den amerikanischen Golfküsten, die eigentlich von Touristen bevölkert sind, suchen freiwillige Helfer die Strände nach Ölklumpen ab
Auch wenn die Mehrheit der 160 Ölfelder nach Recherchen von Greenpeace im Golf von Mexiko liegen, kommt das meiste Offshore-Öl immer noch aus Flachwassern wie der Nordsee. Der Anteil aus Tiefen von mehr als 400 Metern beträgt nur wenige Prozent. Insgesamt gibt es in dem Meer vor unserer Haustür rund 400 Ölplattformen. Als Folge der Ölkatastrophe soll nun die Tiefseeförderung in der Nordsee schärfer kontrolliert werden. Das ist gut so. Aber kaum jemand beachtet die kleinen Ölteppiche rund um die Bohrinseln. Bereits beim Normalbetrieb verlieren die Plattformen jährlich 10 000 Tonnen Öl, das entspricht einem schweren Schiffsunglück!
ÖLPEST AM GOLF VON MEXIKO - GRÖSSTE UMWELTKATASTROPHE DER USA
Der schwarze Teppich des Schweigens
KOMMENTAR VON MICHAEL KRÜGER
Fast schon zynisch, dass sich BP-Chef Tony Hayward mit „goldenem Handschlag“ von seiner desaströsen Mission verabschiedete. Geschätzte 14 Millionen Dollar Abfindung erhielt das „Gesicht der Ölpest“ angeblich für sein Versagen beim Krisenmanagement am Golf von Mexiko. Beißende Kritik erntete er für seinen Kommentar, er wolle einfach nur sein Leben wieder haben. Seine Abschiedsrede klang nicht minder zynisch: „Heute ist ein trauriger Tag für mich. Ich liebe dieses Unternehmen und alles, wofür es steht“.
BP steht heute in erster Linie für die größte Umweltkatastrophe der USA. Das Unfassbare: BP bohrt munter weiter! Immer tiefer, immer teurer – als wäre nichts gewesen. Am Golf von Sidra vor der libyschen Küste geht´s in 1.700 Meter Tiefe weiter… das sind rund 200 Meter mehr als am Golf. Der Konzern freut sich bereits über das „größte Energieprojekt in einem arabischen Staat“. Wie bitte? Woher nehmen die eigentlich die Euphorie? Das klingt so, als würde man frohlockend und voller Zuversicht die Desaster erprobte „Sauerland-Crew“ für die Abwicklung der nächsten Loveparade engagieren – diesmal nur auf einem kleineren Gelände. Einzig positiver Effekt des Medienrummels: Im Öl-Sog der Schlagzeilen kommt immer mehr Licht ins Dunkel. Vom „Ölteppich am Roten Meer“ bis zur „Größten Ölkatastrophe in der Geschichte der Volksrepublik China“ erfährt der Leser hierzulande. Im Reich der Mitte muss der Leser noch mehr suchen. Hier werden Informationen sowieso nur gefiltert und dreimal chemisch gereinigt weitergeleitet. Pressefreiheit? Unbekannt. Bei der betroffenen China National Petroleum Corporation (CNPC) handelt es sich obendrein um ein staatliches Unternehmen... soviel dazu.
Wieviele Zwischenfälle auf Bohrinseln passieren unbemerkt? Die World-Offshore-Accident-Datenbank der Stiftung Norske Veritas“ weist für den Zeitraum von 1974 bis 2004 mehr als 5.000 bekannt gewordene Offshore-Schadensfälle aus. Für die Bereiche der britischen und norwegischen Hoheitsgewässer in der Nordsee sowie der Region des Golfs vom Mexiko sind zwischen 1980 und 2003 zehn Blowouts registriert.
Wieviel Rohöl beim weiteren Transport aus undichten Pipelines und Tankern von der Öffentlichkeit unbemerkt im Deep Blue der Ozeane versickert, bleibt weiterhin ungewiss. Solange es abseits der Küsten und in menschenleeren Regionen der Welt passiert, wird der schwarze Teppich das Geheimnis der Meere bleiben.
INTERVIEW MIT PROF. DR.WILHELM R. DOMINIK, ERDGEOLOGE DER TU, BERLIN
„Eine funktionierende Havarietechnik bei
Tiefseebohrungen gibt es nicht“
VON MICHAEL KRÜGER
Prof. Dr. Wilhelm R. Dominik , Erdölgeologe an der TU Berlin, kennt die Verhältnisse auf den Ölplattformen im Golf von Mexiko. Ende der 80er-Jahre war er in Houston in der Ölexploration und auf den Bohr- und Förderanlagen im Golf von Mexiko tätig.
Wie gefährlich sind Tiefseebohrungen? Gibt es Havarietechniken?
Prof. Dominik: Seit mehr als 20 Jahren werden Tiefseebohrungen vorgenommen, aber eine funktionierende Havarietechnik wie bei der Ölförderung im Flachwasser oder auf dem Festland gibt es nicht. Der Ölaustritt im Golf von Mexiko wurde erst nach drei Monaten gestoppt. Aber es hätte noch schlimmer kommen können: Wenn Öl beispielsweise seitlich aus dem verrohrten Bohrloch entweicht und ungehindert am Meeresboden austritt, kann auch eine Kappe nicht mehr helfen. Da könnte man nur noch mit Auffangglocken arbeiten. Das Ganze ist allerdings zu wenig getestet.
Welche Fehler wurden bei der „Deepwater Horizon“ im Vorfeld gemacht?
Dominik: Es war eine besonders schwierige Bohrung. Im Oktober 2009 starteten die Explorations-Bohrungen. Technische Probleme sowie Zeit- und Kostendruck brachten die Katastrophe ins Rollen. Im Bohrloch herrschte ein extremer Überdruck, der im Golf von Mexiko und in anderen Tiefsee-Förderregionen am Schelfrand der Kontinente typisch ist. Offiziell wurden in der Lagerstätte in 5500 Metern Tiefe 823 Bar gemessen. Bei diesem Druck, das 1,5-Fache des Normalen unter hydrostatischen Druckverhältnissen, ist es nur schwer möglich, durch eine geeignete Schwerespülung den Gegendruck zum Öl aufzubauen und die Bohrlochwand stabil zu halten. Nach der abschließenden Verrohrung der Bohrung wurde die Schwerespülung durch Meerwasser ersetzt. Das ist leichter, und die Zementierung der Bohrung konnte dem Druck nicht standhalten – der „Blow-out“ war die Konsequenz!
Hätte man die Katastrophe nach dem „Blow-out“ verhindern können?
Dominik: Zu den kleinen technischen Mängeln kommen meistens „Human Factors“ hinzu: Selbst am Tage und in den letzten Stunden vor der Havarie hätte man noch reagieren können und sich nicht nur auf den „Blow-out-Preventer“ verlassen dürfen. Auch die manuelle Notabschaltung, die einen mechanischen Verschluss und die Trennung des Schiffs vom Bohrloch auslösen sollte, versagte oder wurde zu spät ausgelöst. Sicherlich ist die Fehlersuche komplex. Flache Hierarchien und weniger Entscheidungsträger könnten zukünftig helfen.
BP plant noch tiefere Bohrungen vor Libyen. Wo sehen Sie Probleme?
Dominik: Das Hauptproblem ist natürlich zunächst die Wassertiefe. Ansonsten sind die Offshore-Bohrungen hier weitaus ungefährlicher, da das Mittelmeer keine dieser kritischen Schelf-Regionen ist und sich durch die Situation mit normalen Drücken berechenbarer darstellt. Aber auch hier ist eine Havarie niemals auszuschließen.
Was müsste standardisiert werden, um das Risiko zu verringern?
Dominik: Die Havarietechniken müssen weiterentwickelt und auf die jeweiligen Bedingungen in großen Wassertiefen angepasst und getestet werden. Diese Vorsorgemaßnahmen sind finanzierbar und könnten durch gemeinsame Anstrengungen der Politik und Ölindustrie umgesetzt werden. Diese Havarietechnologie sollte an den Küsten der Tiefseebohrungen für den Einsatz bereitstehen.
Wie groß sind die Gefahren in der Nordsee?
Dominik: Das meiste Offshore-Öl kommt aus den Flachwasserregionen – der Anteil aus Tiefen von mehr als 400 Metern beträgt nur wenige Prozent. Explorations- und Produktionsbohrungen stellen hier kein Problem dar. Nur im Nordseezentralgraben an der Grenze zwischen Norwegen und England sind Überdrücke in großer Tiefe aufgetreten. Aber die hat man im Griff gehabt. Tiefere Bohrungen sind nicht mehr zu erwarten. Die Exploration in der Nordseeregion liegt in den letzten Zügen – in etwa 15 Jahren ist da kein Öl mehr zu holen.
INTERVIEW MIT DR. KIM DETLOSS, NABU
Gefiederreinigung mit Elektromagneten
VON MICHAEL KRÜGER
Sinnbild der Ölpest sind ölverschmierte Seevögel. Wenn flüssiges Öl in das Federkleid gelangt, verliert es seine wasserabweisenden Eigenschaften. Bisher wurden die verschmutzen Vögel stundenlang mit Seifenlauge abgeschrubbt. Nun arbeiten australische Forscher um Professor John D. Orbell von der Victoria University in Melbourne an einer sanfteren Methode: Die Reinigung mit Elektromagneten soll die Tiere in wenigen Minuten von dem Ölfilm befreien. Zuerst werden die öldurchtränkten Federn mit Eisenpulver besprüht. Das Öl im Gefieder saugt die Mischung auf und macht sie magnetisch. Das Procedere danach könnte man als magnetische Trockenreinigung bezeichnen: Die schwarze Masse wird mithilfe von Elektromagneten entfernt. Die Reinigung mit der Sonde soll nur wenige Minuten dauern und die Vögel bis zu 98 Prozent säubern, ohne dass die wasserundurchlässige Eigenschaft der Federn beeinträchtigt wird.
Die Forscher haben die Reinigungsmethode bislang nur an Federn von toten Vögeln getestet. Aber es gibt Pläne: Ein tragbares Gerät, mit dem man die Tiere direkt vor Ort reinigen soll, ist in der Entwicklung.
Einziges Problem: Die Methode hat nur äußeren Erfolg – gegen die innere Vergiftung nützen die Magneten nichts. „Durch den Putzreflex nehmen die Vögel das giftige Öl auf“, erklärt Dr. Kim Cornelius Detloff, Meeresschutzexperte beim NABU. „Öl verklebt den Magen-Darm-Trakt, und Giftstoffe schädigen Organe.“
Über den Sinn von Reinigungen streiten sich die Experten. „Werden Vögel schnell gefunden und haben noch keine großen Mengen Öl aufgenommen, kann man sie bei Einhaltung strenger Standards erfolgreich reinigen und wieder in die Freiheit entlassen“, berichtet der Meeresschutzexperte. Das haben internationale Einsätze in der Vergangenheit gezeigt.
INTERVIEW MIT PROF. DR. RALF RABUS
„Es kann Jahrzehnte dauern,
bis die Ölmenge abgebaut ist“
VON MICHAEL KRÜGER
Der Ölabbau durch Bakterien im Meer funktioniert tatsächlich, doch meist nur sehr langsam. Bei einer Ölpest, wie im Golf von Mexiko, treten gewaltige Ölmengen in kurzer Zeit aus; ein Ölteppich, halb so groß wie Niedersachsen, sowie kilometerlange Ölfahnen in der Tiefsee sind für die Mikroorganismen einfach zu viel: „Es kann Jahre bis einige Jahrzehnte dauern, bis eine so große Ölmenge abgebaut ist“, erklärt Prof. Dr. Ralf Rabus von der Universität Oldenburg. Daher kann eine Ölpest nicht durch Bakterien „gestoppt“ werden.
Der Ölabbau ist ein komplexer Prozess, an dem viele unterschiedliche Bakterien beteiligt sind. Öl ist ein komplexes Gemisch aus mehreren 100–1000 Einzelkomponenten. „Die Hauptbestandteile von Öl sind Kohlenwasserstoffe, die aufgrund ihrer hohen chemischen Stabilität biologisch schwer abbaubar sind. Die komplexe Zusammensetzung von Öl erfordert ein breites Spektrum an Mikroben für den Abbau“, informiert der Mikrobiologe. In der Wassersäule des Meeres ist ausreichend Sauerstoff vorhanden, um die Kohlenwasserstoffe zu zerlegen – beispielsweise durch Alcanivorax borkumensis. Im sauerstofffreien Meeresboden sind diese sogenannten Sulfatreduzierer aktiv. Als Lohn für die „schwere Arbeit“ bekommen die Bakterien viel Energie und Baustoff für das Wachstum.
Die wichtigsten Faktoren, die den biologischen Erdölabbau beeinflussen, sind Nährstoffe und die richtige Temperatur. Auch die Zusammensetzung des Öls beeinflusst die Zerlegung: „Leichte Öle sind wasserlöslicher, schneller abbaubar und verdunsten an der Wasseroberfläche. Schwere Öle werden wesentlich langsamer abgebaut. Darüber hinaus sind Wachstum sowie Abbauleistungen von Bakterien in der Umwelt meist durch niedrige Nährstoffkonzentrationen (Stickstoff, Phosphat; Anm. d. Red.) beschränkt“, so Prof. Dr. Ralf Rabus.
Der Ölabbau könnte durch den Zusatz von Nährstoffen beschleunigt werden. „Wenn beispielsweise an Land ein Tanklaster mit 30 Tonnen Öl verunglückt, ist der Schadensfall räumlich begrenzt und damit der Einsatz von Nährstoffen eingrenzbar und sehr effektiv“, schildert Prof. Rabus. „Bei dem gewaltigen Ausmaß der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko wäre ein Einsatz mehr als naiv, zumal das Öl durch Strömung, Wellengang und Wind großräumig verteilt wird“, urteilt der Oldenburger Biologe.
Einsatz von Dispergentien auf hoher See sind problematisch.
Im Golf von Mexiko wurden große Mengen Anti-Öl-Chemikalien am Bohrloch ausgebracht, um kleine Öltröpfchen zu bilden und die Größe des Ölteppichs zu begrenzen. „Dadurch befindet sich wohl ein Großteil des Öls im Wasserkörper, beispielsweise als kilometerlange Ölfahnen in der Tiefsee. Das unterseeische Öl gefährdet Fische und andere Meeresbewohner. Der mikrobielle Abbau führt zu einer Sauerstoffverknappung, die nachteilig für andere Meeresbewohner sein kann“, so Prof. Rabus.
TIMELINE
20. April 2010
Die BP-Ölbohrinsel „Deepwater
Horizon“ explodiert.
21. April
Feuer bricht auf der Plattform aus; elf Menschen sterben.
22. April
Die „Deepwater Horizon“ sinkt.
23. April
Das Wrack wird von UW-Robotern in 460 Metern Tiefe geortet.
24. April
Öllecks werden entdeckt.
25. April
Ölteppich bildet sich.
28. April
Teile des Ölteppichs werden abgefackelt.
29. April
Louisiana ruft den Notstand aus.
30. April
Das erste Öl erreicht die Küste des Mississippi-Deltas.
2. Mai
US-Präsident Barack Obama besucht zum ersten Mal die Region und nimmt den Konzern BP in die Pflicht: „BP wird die Rechnung dafür bezahlen!“.
4. Mai
Erste Entlastungsbohrung beginnt.
7. Mai
Angefertigte Stahlglocke wird ins Wasser gelassen.
8. Mai
Auffangglocken-Versuch scheitert.
10. Mai
2. Auffangglocke wird angefertigt.
11. Mai
BP-, Transocean- und Halliburton-Manager müssen vor dem US-Senat aussagen und schieben sich die Schuld gegenseitig zu.
13. Mai
Zweite Entlastungsbohrung beginnt.
14. Mai
BP-Chef Tony Hayward nennt den Ölteppich „als relativ winzig“ im Vergleich zum „sehr großen Ozean“.
15. Mai
Der Einsatz von giftigen Zersetzungs-Chemikalien beginnt.
17. Mai
Große Teerklumpen werden am Strand von Florida entdeckt.
18. Mai
Ein Fünftel der Fischerei im Golf ist zusammengebrochen.
20. Mai
Ein Video vom Meeresboden zeigt, dass mehr Öl austritt, als BP sagt; Experten vermuten eine Ölmenge von 11 129 107 Liter am Tag.
23. Mai
BP macht Eingeständnisse, gibt zu, dass Ölpest „katastrophal“ sei.
26. Mai
Operation „Top Kill“ startet.
28. Mai
Etwa 240 Kilometer Küstenlinie sind verseucht.
29. Mai
Operation „Top Kill“ scheitert; Operation „Top Cap“ beginnt.
4. Juni
Absaug-Aktion mit geringem Erfolg, Öl tritt weiterhin aus.
6. Juni
Messungen zeigen: 1500 Tonnen Öl werden durch Absaugglocke aufgefangen, BP sagt: der größte Teil der ausströmenden Menge.
8. Juni
Obama verkündet in einem Interview, stünde es in seiner Macht, hätte er BP-Chef Tony Hayward „schon längst gefeuert“.
10. Juni
Über 1100 ölverschmierte Vögel werden gefunden.
11. Juni
Wissenschaftler gehen von täglich 5400 Tonnen Öl aus, die aus dem Bohrloch schießen.
14. Juni
Die Ölpest hat BP bisher 1,3 Milliarden Euro gekostet.
16. Juni
US-Präsident Obama wendet sich mit Rede zur Lage an die Nation.
17. Juni
BP-Chef Tony Hayward muss sich einem sechsstündigen Kreuzverhör vor US-Kongress stellen.
19. Juni
Schlagzeile: BP-Chef Tony Hayward erholt sich bei einer Nobelregatta auf seiner Luxusyacht.
29. Juni
Aufgrund des Tropensturms „Alex“ müssen Helfer an Land. Die Installation eines zusätzlichen Absaugsystems wird unterbrochen.
30. Juni
USA akzeptieren Hilfe aus dem Ausland.
1. Juli
Der Supertanker „A Whale“ soll helfen; es heißt, er kann so viel verschmutztes Wasser filtern wie 650 normale Schiffe.
3. Juli
„A Whale“ ist nicht in der Lage, Öl und Wasser zu trennen, da das Öl-Wasser-Gemisch nicht dickflüssig genug für die Filteranlagen ist.
6. Juli
Ölklumpen an Texas Küste.
11. Juli
Da die bisherige Absaugkappe nicht alles Öl einfängt, soll sie entfernt und ausgetauscht werden.
13. Juli
BP setzt einen 68 Tonnen schweren Zylinder auf das Sicherheitsventil; parallel arbeitet der Konzern an zwei Nebenzugängen zum Hauptbohrloch.
14. Juli
Die Tests zum neuen Absaugtricher werden verschoben.
15. Juli
In der Leitung tritt ein Leck auf, sie wird ausgetauscht und die Belastungstests mit der neuen Absaugkappe können vorgesetzt werden; auf Raccoon Island finden Biologen 300 bis 400 ölverschmierte Pelikane und Hunderte verdreckter Seeschwalben.
15. Juli
BP kündigt Tiefseebohrungen im Mittelmeer vor Libyens Küste an; Ziel ist es, 476 961 716 Liter pro Tag bis 2020 zu fördern, so das BP-Magazin; die Bohrung erfolgt in einer Mittelmeerbucht, etwa 200 Kilometer westlich von Bengasi. Die Ölquelle liegt in 1750 Metern Wassertiefe. Damit wird dort 250 Meter tiefer nach den beiden Energierohstoffen gebohrt als bei der Tiefseebohrung im Golf von Mexiko!
16. Juli
BP meldet Erfolg, die neue Absaugkappe soll den gesamten Ölaustritt auffangen.
18. Juli
Der Test mit dem Supertanker „A Whale“ aus Taiwan hat sich als kompletter Fehlschlag entpuppt.
21. Juli
Zwar investieren andere Öl-Konzerne wie Shell, Chevron und Exxon eine Milliarde US-Dollar in ein Ölsicherheitssystem, doch dieses arbeite mit der gleichen Technik, die bereits bei BP nicht funktioniert hat; BP verkauft Öl- und Gasfelder in den USA, Kanada und Ägypten, um die Schäden bezahlen zu können.
22. Juli
Ein Sturm stoppt Arbeiten im Golf.
25. Juli
Der Sturm zieht weiter; Gerüchte um Rücktritt von BP-Chef Tony Hayward werden laut.
27. Juli
BP-Chef Tony Hayward verkündet seinen Rücktritt; BP gibt einen Rekordverlust von 17,2 Milliarden Dollar an; In der Barataria-Bucht rammt ein Schiff eine stillgelegte Ölplattform, Öl und Gas treten aus.
28. Juli
Ölteppich löst sich schneller auf als gedacht, dies gilt aber nur für das Öl an der Wasseroberfläche.
1. August
Einsatz von umweltschädlichen Anti-Öl-Chemikalien wird immer mehr kritisiert, mehr als 6,8 Millionen Liter sind verwendet worden.
3. August
Die Ölpest im Golf gilt als schlimmste Ölkatastrophe ihrer Art zu Friedenszeiten; insgesamt sind 780 Millionen Liter Öl ins Meer gelaufen, ein Fünftel davon konnte aufgefangen werden.
4. August
BP ist es geglückt, Spezialschlamm in das Bohrloch zu spritzen. Der nächste Schritt ist das Einspritzen von Zement sowie zwei Entlastungsbohrungen.
5. August
BP meldet die erfolgreiche Versiegelung des Bohrlochs mit Zement.
1. Oktober
Rücktritt von Tony Hayward als Vorstandsvorsitzender der BP; der Amerikaner Bob Dudley wird sein Nachfolger und neuer CEO von BP.
29. November bis 10. Dezember
Klimagipfel in Cancún, Mexiko – ausgerechnet im mexikanischen Cancún, das genau an der Spitze einer der beiden Landzungen liegt und einen schönen Blick auf den Golf von Mexiko hat.
1. Dezember
Das Ergebnis einer Online-Petition von Greenpeace für den Stopp der Tiefseebohrungen wird veröffentlicht. Die Unterschriften wurden vom 2. Juli bis 30. November 2010 gesammelt.
Obamas Rede an die Nation
„BP wird die Rechnung bezahlen!“
Auf dem Weg zum Leck
Die Stahlglocke wurde extra gebaut
Miserables Krisenmanagement
BP-Chef Tony Hayward im Kreuzverhör
Verlorenes Paradies
Die Feuchtgebiete rund um Louisiana sind Brut- und Nahrungsgebiet unzähliger Vogelarten. Das Öl hat sie verseucht
Rauchzeichen
Nur kleinere Ölteppiche wurden auf hoher See unter der Kontrolle der U.S. Coast Guard abgefackelt. Um größere Felder abzufackeln, bedarf es wenig Wind und kaum Seegang. Ist die Ölschicht wie im Golf von Mexiko sehr dünn, brennt sie nur unvollständig ab und muss mit schwimmenden Barrieren aufgestaut werde..
Michael Krüger ist freier Journalist und Taucher. Er reist viel und ist von der Schönheit der Meere fasziniert. „Es ist eine Schande, wie wir Menschen mit dem Meer umgehen. Die natürlichen Ressourcen der Erde werden bis aufs Letzte ausgebeutet. Ohne Rücksicht auf das Ökosystem Meer.“