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Mein erstes Mal:
Hautnah mit Haien Egal ob in freier Wildbahn oder bei Fütterungen: Begegnungen mit Haien sind magisch. Nicht-Taucher sehen das meist anders. von Michael Krüger Lebensgefährlich!“, warnte mich mein Schwiegervater. Ich erinnere mich noch genau an die Situation im Winter 1999. Ich wollte gerade begeistert vom Tauchkurs mit meiner Freundin auf Fuerteventura berichten – stattdessen erntete ich nur entsetzte Blicke und Kommentare. Seitdem präsentierte er mir bei jedem Besuch ausgeschnittene Zeitungsschnipsel mit Tauchunfällen und skurrilen Hai-Schutzsystemen. Ich verschwieg natürlich, dass Begegnungen mit den Raubfischen unsere Hauptmotivation war abzutauchen. Bei Reisen ans Rote Meer, nach Bali und auf die Philippinen erlebten wir Haie anders als erwartet: scheu, unter einem Riff dösend, vorsichtig, desinteressiert oder auf Distanz. „Große Haie? Da müsst ihr in die Karibik!“, empfahl uns ein Taucher auf Komodo. 2008 waren wir das erste Mal auf Trinidad & Tobago. Am Spot namens Sisters sollte eine Gruppe großer Hammerhaie leben. Scheinbar wussten das aber auch Fischer, denn das einzige Drei-Meter-Exemplar haben wir nicht furchtlos und schwimmend, sondern leblos und liegend mit Haken im Maul in einem Boot entdeckt. Ich las von Fütterungen – viele Taucher stehen dem „Zirkus“ ja kritisch gegenüber. Auch ich war skeptisch, aber die Berichte und Gespräche machten mich neugierig. Bei einer Reise nach Roatan, Honduras, ergab sich die Gelegenheit. Am Spot Cara a cara können Taucher mit einem Dutzend Karibischen Riffhaien in 22 Meter Tiefe schwimmen – spannend! Neugierig und ohne Aggression Die grauen Jäger haben den stoppenden Bootsmotor bereits gehört. Einige Rückenflossen ragen aus dem Wasser. Hmmm. In diese „Hai-Suppe“ sollen wir also ernsthaft hineinspringen? Was, wenn sie uns für Futter halten? Was würde mein Schwiegervater wohl sagen, wenn er uns hier sehen würde? Basisboss Sergio Tritto, sein Kameramann sowie ein Sicherungstaucher tauchen ab – wir folgen. Der Italiener hat eine Köderbox in der Hand und wird von Haien umkreist. Einige messen fast drei Meter Länge. Vor mir meine Freundin. Die Riffhaie mustern uns neugierig, aber ohne aggressiv zu sein. Der anfängliche Respekt weicht der Faszination. Die Tiere schimmern silbergrau und bewegen sich elegant. Fünf Kiemenschlitze, eine kräftige Statur – als hätte ein Designer Hand angelegt. „Die sind für mich wie Hunde“, erzählte uns Sergio vor dem Tauchgang. Jeder hätte einen eigenen Charakter. Einige haben Schmarren von Kämpfen und Verletzungen von Begegnungen mit Fischern und bleiben auf Distanz. Eine große Haidame namens Vivienne, erkennbar an der abgerissenen Angelschnur mit Haken, die wie Piercing-Schmuck aus dem Schlund hängt, nimmt Blickkontakt auf und nähert sich langsam bis auf Armlänge. Als ich meinen Kopf drehe, schwimmt der gewaltige Fisch verschreckt zur Seite. Unglaublich, wie vorsichtig sie ist. Nach 30 Minuten gibt uns Sergio Zeichen, dass wir uns an ein rund fünf Meter von der Köderbox entferntes Plateau setzen sollen. Er öffnet den Deckel des Eimers – die Fütterung beginnt: Im Fressrausch kämpfen die Haie um fünf kleine, abgenagte Fischkarkassen. Man hört ein lautes Knacken. Nach einer Minute ist das Spektakel beendet. Silberne Schuppen schwimmen wie Konfetti im Wasser. Was sagt Tritto zu Kritikern der Fütterungen? „Als ich vor 15 Jahren auf Roatan ankam, gab es hier keine Haie. Durch die Feeds hat sich das geändert. Meine Ranger sind die ehemaligen Jäger. Ich bezahlte die Fischer dafür, dass sie auf ihre Devisenbringer aufpassen“, versichert mir der Italiener. Auch nach Erlebnissen auf Kuba und den Bahamas zeigt sich: Nüchtern betrachtet sind Fütterungen Haischutz, der funktioniert, weil die Gesetze der Marktwirtschaft greifen. Es fließt Geld und die Kommunkation läuft wie geschmiert. Magazine und Filmteams berichten. Dazu virales Marketing via Facebook, Instagram und Youtube. „Die Welt sieht, dass diese Jäger keine blutrünstigen Bestien sind. Eine bessere PR für Haie gibt es nicht“, sagte Shark-Feeder Jamie Rolle auf den Bahamas. Quasi eine „Win-Win-Situation“ für alle. Natürlich lassen sich auch tolle Fotos schießen – dieses Motiv hat viele „Likes“ bekommen. Nicht von meinem Schwiegervater. Er war nie auf Facebook und dachte, wir seien im Schwarzwald unterwegs. |
Tentakel-Tipps vom orakelnden Oktopus
VON MICHAEL KRÜGER
600 TV-Stationen übertrugen seine UW-Vorhersagen vom WM-Finale live. Der orakelnde Oktopus aus dem 1500-Liter-Bassin in Oberhausen war ungekrönter tierischer Star der weltweiten Presse und TV-Sender - eigene Facebookseite sowie ein Wikipediaprofil inklusive. Alles ein moderner Hype? Nicht ganz: Bereits die Kelten glaubten, dass Tiere an bestimmten Tagen gewisse übernatürliche Kräfte besäßen. Wetterprognosen, Zukunftsvorhersagen und Fußballtipps wie jüngst bei der WM 2010.
Tippender Brite mit acht Armen
Seit 2008 ist Paul (2,5 Jahre alt) - den Tiefen des Atlantiks bei Weymouth/Großbritannien entrissen - die Attraktion des Oberhausener Sealife-Aquariums durch seine Treffsicherheit bekannt: Dabei setzte sich der Krake aus dem Großaquarium auf einen seiner mit der jeweiligen Landesflagge gekennzeichneten Futterbehälter (darin eine Miesmuschel) und wählte die späteren Sieger. Eigentlich nichts Besonderes - die Quote seines Fressorakels ist allerdings verblüffend. Die Zahlen sprechen für den Kopffüßler: Laut Nachrichtenmagazin Spiegel hatte Paul bereits bei den Europameisterschaften 2008 eine bessere Vorhersagequote als andere Fußballorakeltiere. Hat Paul hellseherische Fähigkeiten? Mathematiker sind beeindruckt. Der Holländer Dr. Pieter Moree vom Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn: "Beim sechsten Spiel lag die Wahrscheinlichkeit bei 1/64. Das heißt, dass sich bei einer Umfrage unter 64 Menschen 63 davon beim Ergebnis geirrt hätten."
Saugnapfbesetzte Tentakel sind mit Geschmackssinneszellen ausgestattet
Viele mutmaßen, dass die Farbe der Flaggen den Ausschlag gab. Reagiert Paul gar auf Rot? Das könnte seine Vorliebe für die spanische Flagge erklären. "Es gibt Hinweise, die auf Farbenblindheit von Kopffüßern schließen lassen", so der Greifswalder Tintenfisch-Forscher Volker Miske. Endgültig bewiesen sei dies jedoch nicht. "Wenn Farbenblindheit vorläge, so wird diese offenbar durch die genaue Auswertung der Grauwerte der Farben kompensiert. Einige Arten können übrigens sogar polarisiertes Licht auswerten." Kraken können offenbar Helligkeitswerte unterscheiden. Der Diplombiologe vermutet, dass der Größenunterschied der angebotenen Nahrung den Ausschlag geben könnte: "Kraken sind optische Jäger und eine größere Beute ist natürlich attraktiver." Geringe Geschmacksspuren an der Muschelbox könnten ebenfalls die Entscheidung beeinflussen: "Die Saugnäpfe sind mit sensiblen Geschmackssinneszellen ausgestattet. Und wenn der Außenseite einer der Kisten noch etwas mehr appetitlicher Geschmack anhängt, dann beeinflusst dies ebenfalls die Entscheidung des Kraken." Ebenfalls sei fraglich, ob beide Kisten gleich dicht verschlossen wurden. Lebende Muscheln sondern in ihren Atemwasserströmen verlockende Gerüche ab, die die Futterauswahl des Tieres beeinflussen könnten. Das ganze sei daher hypothetisch: Standartisierte, statistisch möglichst einwandfreie Versuche könnten genauere Schlüsse zulassen.
Kraken sehen sehr gut - trotz Farbblindheit
Viele mutmaßen, dass die Farbe der Flaggen den Ausschlag gab. Reagiert Paul gar auf Rot? Das könnte seine Vorliebe für die spanische Flagge erklären. Nach Janet Voight vom Field Museum of Natural History sollte das Farbensehen bei den farbenblinden Kraken keine Rolle spielen. Nach Shelagh Malham von der Bangor University können Kraken aber Helligkeitswerte unterscheiden und fühlen sich zu ausgeprägten horizontalen Formen hingezogen. Paul könnte daher bevorzugt die deutsche und daneben die spanische wie die serbische Flagge entsprechend öfter ausgewählt haben. Die spanische habe einen ausgeprägteren Horizontalstreifen und die serbische weise eine höhere Helligkeit auf.
Nachtaktive Jäger sind Meister des "Morphings"
Da viele Arten nachtaktiv sind, kann man sie erst bei Dunkelheit bei der Jagd nach ihrer Lieblingsspeise, den Krebsen, entdecken. Sie sind zwar scheu, aber extrem neugierig. Wenn sie ihre Höhle verlassen, bewegen sich meist auf ihren acht saugnapfbesetzten Armen durch das Riff. Sie können für kurzfristige Sprints auch per Rückstoßprinzip Wasser aus ihrer Mantelhöhle durch ihren Trichter pressen. Wenn es brenzlig wird, versprüht das "Phantom" additiv eine tintenartige Substanz, die für uns harmlos ist, aber den jagenden Fisch kurzfristig seiner Orientierung und Sinne beraubt. Besonders faszinierend ist der Farbwechsel der Kraken. Durch Millionen von Chromatophoren (Farbzellen unter der Haut) sind sie in der Lage, blitzschnell Farbe und Struktur der Umgebung anzunehmen. Die Änderung der Körperfarbe dient nicht nur der Tarnung, sondern auch um Stimmungen wie Angst oder Paarungsbereitschaft auszudrücken. Die Farbzellen werden durch das Zentralnervensystem gesteuert, das bei Kraken hoch entwickelt ist. Überhaupt: Drei Herzen, acht Arme, blaues Blut. Der Meister des "Morphings" kann seine Farbe und Form blitzartig ändern. Kein Science-Fiction-Autor könnte sich so etwas besser ausdenken als Mutter Natur.
Argentinier und Deutsche wollen ihn essen, Spanier wollen ihn retten und Engländer als neuen Fußballtrainer
Britische Journalisten haben den "gebürtigen Engländer" nach der Fußballpleite gegen Deutschland als neuen Trainer vorgeschlagen, "weil er nicht soviel Blödsinn labert und weiß, was er tut". Argentinische TV-Sender haben Kochrezepte vorgeschlagen, um das Tier zu Paella zu verarbeiten. Uruguays Trainer war gar doppelt motiviert, sowohl Deutschland als auch den Kraken zu schlagen. Die Niederländer schickten nach Pauls Spanien-Weltmeistertipp sogar eine "Pauline" im eigenen Sealifecenter ins Rennen - Gewinner natürlich Holland. Das ganze gipfelte sogar in eine Staatsaffäre. Nach dem Deutschland-Spanienspiel tickerte die Deutsche Presse-Agentur dpa: "Spanien sorgt sich um Tintenfisch Paul" - und zitierte Spaniens Regierungschef José Luis Rodriguez Zapatero: "Ich mache mir Sorgen um ihn." Nachdem Paul den spanischen Sieg über Deutschland korrekt vorhergesagt hatte, fürchten die Spanier offenbar Racheakte deutscher Fans an dem Tier! Es wird noch besser: Industrieminister Miguel Sebastian schlug sogar vor, Paul auf die iberische Halbinsel zu bringen - aus Sicherheitsgründen. Umweltministerin Elena Espinosa sprach es dann unverblümt aus: "Damit die Deutschen ihn nicht aufessen."
Ist Krake Paul wirklich in Gefahr?
Zwar gebe es aktuell keine Hinweise auf mögliche Anschläge auf das Tier. Dennoch erhöhte Sealife in Oberhausen gestern die Sicherheitsvorkehrungen! Stefan Porwoll (37), Pauls Ziehvater und Geschäftsführer des Aquariums: "Wir haben zur Sicherheit einen Mitarbeiter beauftragt, während der Öffnungszeiten ein wachsames Auge auf Paul zu halten." Bleibt zu hoffen, das die Tintenfische nicht unter dem Medienhype leiden wie seinerzeit der große Weiße.
"Octopus' Garden" - zu Ringos 70.
Auch Maler, Musiker und Künstler sind seit jeher von dem Verwandlungskünstler fasziniert: Beatles-Drummer Ringo Starr - er feierte übrigens am 7. Juli 2010 seinen 70. Geburtstag - komponierte 1969 mit "Octopus' Garden" seine musikalische Huldigung an die faszinierenden Wesen. "I´d like to be, under the sea in an octopus' garden in the shade" heißt es in einem der wenigen Beatles-Songs von Ringo Starr. Die Inspiration zu diesen Zeilen soll der Schlagzeuger bei einer Bootsfahrt in Sardinien bekommen haben. Die Schilderung eines Seemanns, dass Kraken Muscheln und leuchtende Objekte sammelten, um Gärten zu bauen und zu verzieren, faszinierte ihn. "Eine der kuriosesten Sachen, die ich gehört habe", so Ringo angeblich - "Octopus' Garden" seine vertonte Huldigung an die eigenartigen Kraken.
Achtarmige Architekten sind Burgenbauer
Seemannsgarn? Der Hang zum Gartenbauarchitekten kann dem Kraken angesichts des erstaunlich entwickelten Verhaltensrepertoires kaum abgesprochen werden. Perfekt getarnt verstecken sie sich tagsüber in Höhlen. Ihr weicher Körper macht die Kraken gegenüber Räubern verletzbar, so dass sie meist in selbst gebauten oder natürlichen Behausungen Unterschlupf suchen: Diese Wohnplätze erkennt man an Muschelschalen oder anderen leeren Gehäusen, die direkt vor dem Eingang liegen und von vorangegangenen Mahlzeiten zeugen. Der Hang zum Burgenbau wird auch durch das Bedürfnis der Kraken nach "Rückendeckung" erklärt. Ist kein geeigneter Unterschlupf vorhanden, wird mit Hilfe der Fangarme ein Steinnest oder Steinwall errichtet.
"Paul ist tot" - 2014 wird ein Nachfolger gesucht
Sein erstaunliches Verhaltensrepertoire als Tarnkünstler oder Morphing-Spezialist fasziniert nicht nur Meeresbiologen, Schnorchler und Taucher. Drei Herzen, saugnapfbesetzte Arme und blaues Blut: Die Anatomie eines Oktopus scheint der Feder eines Science-Fiction Autors entsprungen zu sein. Paul hat angeblich die Intelligenz eines zweijährigen Kindes. Fakt ist: Paul ist der berühmteste Krake der Welt. Und er hat alles, was einen echten Medien-Superstar ausmacht - auch den frühen Tod. Für Paul ist die WM 2010 seine letzte. Kraken werden maximal drei Jahre alt. Aber die Nachfolgersuche für die WM 2014 in Brasilien beginnt. Gerüchten zufolge soll sich Paul II bereits im Trainingscamp befinden. Kraken haben nämlich die erstaunliche Fähigkeit, dass sie durch Zuschauen lernen.
Michael Krüger, Tauchen 10/2010
VON MICHAEL KRÜGER
600 TV-Stationen übertrugen seine UW-Vorhersagen vom WM-Finale live. Der orakelnde Oktopus aus dem 1500-Liter-Bassin in Oberhausen war ungekrönter tierischer Star der weltweiten Presse und TV-Sender - eigene Facebookseite sowie ein Wikipediaprofil inklusive. Alles ein moderner Hype? Nicht ganz: Bereits die Kelten glaubten, dass Tiere an bestimmten Tagen gewisse übernatürliche Kräfte besäßen. Wetterprognosen, Zukunftsvorhersagen und Fußballtipps wie jüngst bei der WM 2010.
Tippender Brite mit acht Armen
Seit 2008 ist Paul (2,5 Jahre alt) - den Tiefen des Atlantiks bei Weymouth/Großbritannien entrissen - die Attraktion des Oberhausener Sealife-Aquariums durch seine Treffsicherheit bekannt: Dabei setzte sich der Krake aus dem Großaquarium auf einen seiner mit der jeweiligen Landesflagge gekennzeichneten Futterbehälter (darin eine Miesmuschel) und wählte die späteren Sieger. Eigentlich nichts Besonderes - die Quote seines Fressorakels ist allerdings verblüffend. Die Zahlen sprechen für den Kopffüßler: Laut Nachrichtenmagazin Spiegel hatte Paul bereits bei den Europameisterschaften 2008 eine bessere Vorhersagequote als andere Fußballorakeltiere. Hat Paul hellseherische Fähigkeiten? Mathematiker sind beeindruckt. Der Holländer Dr. Pieter Moree vom Max-Planck-Institut für Mathematik in Bonn: "Beim sechsten Spiel lag die Wahrscheinlichkeit bei 1/64. Das heißt, dass sich bei einer Umfrage unter 64 Menschen 63 davon beim Ergebnis geirrt hätten."
Saugnapfbesetzte Tentakel sind mit Geschmackssinneszellen ausgestattet
Viele mutmaßen, dass die Farbe der Flaggen den Ausschlag gab. Reagiert Paul gar auf Rot? Das könnte seine Vorliebe für die spanische Flagge erklären. "Es gibt Hinweise, die auf Farbenblindheit von Kopffüßern schließen lassen", so der Greifswalder Tintenfisch-Forscher Volker Miske. Endgültig bewiesen sei dies jedoch nicht. "Wenn Farbenblindheit vorläge, so wird diese offenbar durch die genaue Auswertung der Grauwerte der Farben kompensiert. Einige Arten können übrigens sogar polarisiertes Licht auswerten." Kraken können offenbar Helligkeitswerte unterscheiden. Der Diplombiologe vermutet, dass der Größenunterschied der angebotenen Nahrung den Ausschlag geben könnte: "Kraken sind optische Jäger und eine größere Beute ist natürlich attraktiver." Geringe Geschmacksspuren an der Muschelbox könnten ebenfalls die Entscheidung beeinflussen: "Die Saugnäpfe sind mit sensiblen Geschmackssinneszellen ausgestattet. Und wenn der Außenseite einer der Kisten noch etwas mehr appetitlicher Geschmack anhängt, dann beeinflusst dies ebenfalls die Entscheidung des Kraken." Ebenfalls sei fraglich, ob beide Kisten gleich dicht verschlossen wurden. Lebende Muscheln sondern in ihren Atemwasserströmen verlockende Gerüche ab, die die Futterauswahl des Tieres beeinflussen könnten. Das ganze sei daher hypothetisch: Standartisierte, statistisch möglichst einwandfreie Versuche könnten genauere Schlüsse zulassen.
Kraken sehen sehr gut - trotz Farbblindheit
Viele mutmaßen, dass die Farbe der Flaggen den Ausschlag gab. Reagiert Paul gar auf Rot? Das könnte seine Vorliebe für die spanische Flagge erklären. Nach Janet Voight vom Field Museum of Natural History sollte das Farbensehen bei den farbenblinden Kraken keine Rolle spielen. Nach Shelagh Malham von der Bangor University können Kraken aber Helligkeitswerte unterscheiden und fühlen sich zu ausgeprägten horizontalen Formen hingezogen. Paul könnte daher bevorzugt die deutsche und daneben die spanische wie die serbische Flagge entsprechend öfter ausgewählt haben. Die spanische habe einen ausgeprägteren Horizontalstreifen und die serbische weise eine höhere Helligkeit auf.
Nachtaktive Jäger sind Meister des "Morphings"
Da viele Arten nachtaktiv sind, kann man sie erst bei Dunkelheit bei der Jagd nach ihrer Lieblingsspeise, den Krebsen, entdecken. Sie sind zwar scheu, aber extrem neugierig. Wenn sie ihre Höhle verlassen, bewegen sich meist auf ihren acht saugnapfbesetzten Armen durch das Riff. Sie können für kurzfristige Sprints auch per Rückstoßprinzip Wasser aus ihrer Mantelhöhle durch ihren Trichter pressen. Wenn es brenzlig wird, versprüht das "Phantom" additiv eine tintenartige Substanz, die für uns harmlos ist, aber den jagenden Fisch kurzfristig seiner Orientierung und Sinne beraubt. Besonders faszinierend ist der Farbwechsel der Kraken. Durch Millionen von Chromatophoren (Farbzellen unter der Haut) sind sie in der Lage, blitzschnell Farbe und Struktur der Umgebung anzunehmen. Die Änderung der Körperfarbe dient nicht nur der Tarnung, sondern auch um Stimmungen wie Angst oder Paarungsbereitschaft auszudrücken. Die Farbzellen werden durch das Zentralnervensystem gesteuert, das bei Kraken hoch entwickelt ist. Überhaupt: Drei Herzen, acht Arme, blaues Blut. Der Meister des "Morphings" kann seine Farbe und Form blitzartig ändern. Kein Science-Fiction-Autor könnte sich so etwas besser ausdenken als Mutter Natur.
Argentinier und Deutsche wollen ihn essen, Spanier wollen ihn retten und Engländer als neuen Fußballtrainer
Britische Journalisten haben den "gebürtigen Engländer" nach der Fußballpleite gegen Deutschland als neuen Trainer vorgeschlagen, "weil er nicht soviel Blödsinn labert und weiß, was er tut". Argentinische TV-Sender haben Kochrezepte vorgeschlagen, um das Tier zu Paella zu verarbeiten. Uruguays Trainer war gar doppelt motiviert, sowohl Deutschland als auch den Kraken zu schlagen. Die Niederländer schickten nach Pauls Spanien-Weltmeistertipp sogar eine "Pauline" im eigenen Sealifecenter ins Rennen - Gewinner natürlich Holland. Das ganze gipfelte sogar in eine Staatsaffäre. Nach dem Deutschland-Spanienspiel tickerte die Deutsche Presse-Agentur dpa: "Spanien sorgt sich um Tintenfisch Paul" - und zitierte Spaniens Regierungschef José Luis Rodriguez Zapatero: "Ich mache mir Sorgen um ihn." Nachdem Paul den spanischen Sieg über Deutschland korrekt vorhergesagt hatte, fürchten die Spanier offenbar Racheakte deutscher Fans an dem Tier! Es wird noch besser: Industrieminister Miguel Sebastian schlug sogar vor, Paul auf die iberische Halbinsel zu bringen - aus Sicherheitsgründen. Umweltministerin Elena Espinosa sprach es dann unverblümt aus: "Damit die Deutschen ihn nicht aufessen."
Ist Krake Paul wirklich in Gefahr?
Zwar gebe es aktuell keine Hinweise auf mögliche Anschläge auf das Tier. Dennoch erhöhte Sealife in Oberhausen gestern die Sicherheitsvorkehrungen! Stefan Porwoll (37), Pauls Ziehvater und Geschäftsführer des Aquariums: "Wir haben zur Sicherheit einen Mitarbeiter beauftragt, während der Öffnungszeiten ein wachsames Auge auf Paul zu halten." Bleibt zu hoffen, das die Tintenfische nicht unter dem Medienhype leiden wie seinerzeit der große Weiße.
"Octopus' Garden" - zu Ringos 70.
Auch Maler, Musiker und Künstler sind seit jeher von dem Verwandlungskünstler fasziniert: Beatles-Drummer Ringo Starr - er feierte übrigens am 7. Juli 2010 seinen 70. Geburtstag - komponierte 1969 mit "Octopus' Garden" seine musikalische Huldigung an die faszinierenden Wesen. "I´d like to be, under the sea in an octopus' garden in the shade" heißt es in einem der wenigen Beatles-Songs von Ringo Starr. Die Inspiration zu diesen Zeilen soll der Schlagzeuger bei einer Bootsfahrt in Sardinien bekommen haben. Die Schilderung eines Seemanns, dass Kraken Muscheln und leuchtende Objekte sammelten, um Gärten zu bauen und zu verzieren, faszinierte ihn. "Eine der kuriosesten Sachen, die ich gehört habe", so Ringo angeblich - "Octopus' Garden" seine vertonte Huldigung an die eigenartigen Kraken.
Achtarmige Architekten sind Burgenbauer
Seemannsgarn? Der Hang zum Gartenbauarchitekten kann dem Kraken angesichts des erstaunlich entwickelten Verhaltensrepertoires kaum abgesprochen werden. Perfekt getarnt verstecken sie sich tagsüber in Höhlen. Ihr weicher Körper macht die Kraken gegenüber Räubern verletzbar, so dass sie meist in selbst gebauten oder natürlichen Behausungen Unterschlupf suchen: Diese Wohnplätze erkennt man an Muschelschalen oder anderen leeren Gehäusen, die direkt vor dem Eingang liegen und von vorangegangenen Mahlzeiten zeugen. Der Hang zum Burgenbau wird auch durch das Bedürfnis der Kraken nach "Rückendeckung" erklärt. Ist kein geeigneter Unterschlupf vorhanden, wird mit Hilfe der Fangarme ein Steinnest oder Steinwall errichtet.
"Paul ist tot" - 2014 wird ein Nachfolger gesucht
Sein erstaunliches Verhaltensrepertoire als Tarnkünstler oder Morphing-Spezialist fasziniert nicht nur Meeresbiologen, Schnorchler und Taucher. Drei Herzen, saugnapfbesetzte Arme und blaues Blut: Die Anatomie eines Oktopus scheint der Feder eines Science-Fiction Autors entsprungen zu sein. Paul hat angeblich die Intelligenz eines zweijährigen Kindes. Fakt ist: Paul ist der berühmteste Krake der Welt. Und er hat alles, was einen echten Medien-Superstar ausmacht - auch den frühen Tod. Für Paul ist die WM 2010 seine letzte. Kraken werden maximal drei Jahre alt. Aber die Nachfolgersuche für die WM 2014 in Brasilien beginnt. Gerüchten zufolge soll sich Paul II bereits im Trainingscamp befinden. Kraken haben nämlich die erstaunliche Fähigkeit, dass sie durch Zuschauen lernen.
Michael Krüger, Tauchen 10/2010