Wirre Verschwörungstheoretiker, die naturwissenschaftliche Fakten verdrehen, feiern Hochkonjunktur: „Überfischung? Eine Legende der Öko-Lobby“. „Shark-Finning hilft, die Anzahl gefährlicher Hai-attacken in Strandregionen zu minimieren“ und „Walfänger schützten uns davor, dass die dicken Säuger unsere Ozeane leerfressen!“ VON MICHAEL KRÜGER
Die „Crown of Creation“, von Sea-Shepherd-Gründer Paul Watson als „völlig außer Kontrolle geratene Primatenspezies“ bezeichnet, muss manche Kränkung über sich ergehen lassen: Warum wird ein isländischer Unternehmer diffamiert, der pro Jahr 16 Millionen Euro für sein Land verdient und arbeitslosen Fischern eine Lebensperspektive gibt? Weil dafür „sinnlos herumdümpelnde“ Meeressäuger geopfert werden? Kristján Loftsson, der letzte Finnwal-Jäger der Welt, möchte in diesem Jahr noch 200 der gefährdeten Riesen schlachten und hat wenig Interesse, seine „Goldesel“ wahnsinnigen Tierschützern zu überlassen, die „sowieso gegen alles sind“. Walfänger glauben: „Es gibt viel zu viele von den gefräßigen Walen, die maßgeblich daran Schuld sind, dass immer weniger Fisch auf unseren Tellern landet!“
Alles eine Frage der Perspektive: „Gott hat die Erde als Scheibe geschaffen!“ Allein auf der Facebookseite der 1956 gegründeten US-Organisation „Flat Earth Society“ tummeln sich 170 000 (!) Jünger. „Das Meer ist flach, Mond- und Sonnenaufgänge sind optische Täuschungen und Weltraumfotos eine NASA-Verschwörung.“ Ungläubige können sich im aktuellen Newsletter von Johannes, „Offenbarung 7.1.4.“ (70 n. Christus), überzeugen: „Und danach sah ich vier Engel an den vier Enden der Erde stehen.“ Ein klarer Beweis für die „Flatheads“, denn auf einer Kugel wären dazu nur akrobatisch geschulte Himmelsboten fähig gewesen.
Nach einer Gallup-Umfrage glauben mehr US-Amerikaner an die Schöpfungsgeschichte (Kreationismus) als an die Evolutionstheorie. In vielen Strömungen des Islam ist die rein religiös begründete Betrachtung der irdischen Lebewesen generell weit verbreitet. Kein Wunder, dass „Darwins Teufelswerk“ auch in Erdogans Türkei-Diktatur komplett vom Lehrplan gestrichen wurde. Aber auch in Italien und in Großbritannien machen Parlamentarier gegen die Evolution im Biologieunterricht Front, da sie „die Schüler korrumpiert“. Wussten Sie, dass die Grünen „ein Werkzeug der US-Ölindustrie“ sind? Über solches Insider-Wissen verfügt Verschwörungstheoretiker Hartmut Bachmann. Sein Buch „Die Lüge der Klimakatastrophe – das gigantischste Betrugswerk der Neuzeit“ findet reichlich alternative Fakten zum Thema. Auch US-Präsident Donald Trump hat den Klimawandel in der Vergangenheit häufig als Erfindung der Chinesen bezeichnet, um den USA zu schaden.
Das Land des Lächelns scheint allerdings in erster Linie daran interessiert zu sein, die Meere leer zu fischen. Jeder dritte Fisch wurde von chinesischen Fischern gefangen. Weil die heimischen Gewässer erfolgreich von organischem Leben befreit wurden, pflügen gigantische Flotten Afrikas Küsten und bald sogar die Antarktis mit Grundschleppnetzen leer. Bei uns gibt es das nicht, denn bei der nachhaltigen Fischerei mit MSC-Siegel werden nur pelagische Schleppnetze verwendet. Okay, die Netze sind so groß, dass zwölf Jumbo-Jets reinpassen könnten und die Beifangquote beträgt bis zu 90 Prozent. Aber weil häufig Pilotwale und Delfine im Netz landen, wird die Speisefischmenge nicht zusätzlich durch die zügellose Fresssucht dieser Tiere verringert. Überfischung ist nach Ansicht chinesischer Experten sowieso ein Mythos: „Die Erdoberfläche besteht zu 70 Prozent aus Wasser. Es ist also dreimal so viel Lebensraum für alle Meerestiere vorhanden!“ Die Haipopulation ist einigen Tourismusprofis sowieso ein Dorn im Auge. Jede Sichtung in Strandnähe sorgt für massive Umsatzeinbußen. Die „skrupellosen Killer“ machen noch nicht einmal vor endemischen Surfparadiesen halt. Das Abtrennen der Flossen von jährlich 100 Millionen Haien für die Herstellung einer geschmacksneutralen Suppe wurde von einem empörten Surfer auf Facebook als „Zeichen gegen die Metzelei der Menschenjäger“ verstanden. Auch der texanische Angler Poco Cedillo, der im Juli 2018 einen Vier-Meter-Hammerhai fing, kann die Social-Media-Entrüstung nicht verstehen. Dass Tier starb „plötzlich und unerwartet“ nach 90-minütigem Drill und Facebook-Fotoshooting im Sand. „Den Tod eines Hais wollte ich als Hai-Angler nie erleben“, sagte Cedillo. Noch Fragen?
„Es kommt mir vor, als habe die ,Krone der Schöpfung‘ einen gewaltigen Sprung in der Schüssel“, so TAUCHEN-Redakteur Michael Krüger.